Der Schwarze Peter weilt derzeit in Marrakesch. Weil es dort bunter und quirliger ist… wärmer außerdem. Wir können uns gut vorstellen, wie er dort die Zeit vertrödelt: nämlich mit lässig übereinander geschlagenen Beinen ein Glas Pfefferminztee schlürfend. Dabei beobachtet er das „authentisch nordafrikanische Treiben“ um ihn herum. Allerdings wird er nicht fürs Faulenzen und Flanieren bezahlt. Deshalb haben wir ihm Post Restante das Buch Mit Platon in Palästina zur Rezension geschickt – inklusive Deadline.
Dieser Eingriff in seinen gemächlichen Tagesablauf widerstrebt ihm zunächst. Aber der Untertitel Vom Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Welt und die einleitenden Worte des Autors wecken sein Interesse. Carlos Fraenkel ist der Ansicht, dass „die Philosophie, insofern sie das Fundament einer Debattenkultur liefert, eine wichtige Rolle übernehmen“ kann. Das gefällt dem Schwarzen Peter, beklagt er doch seit langem die gesellschaftliche Geringschätzung der Philosophie und den kontinuierlichen Verfall der allgemeinen Debattenkultur.
Weit entfernt vom verkrusteten Beharren auf einer bestimmten Weltanschauung, favorisiert Fraenkel die philosophische Praxis, das heißt die Aneignung und Anwendung von Techniken sowie die
„Pflege von Tugenden des Debattierens (die Wahrheit für wichtiger halten, als den Meinungsstreit für sich entscheiden zu wollen, und sich um Verständnis für den Standpunkt des anderen bemühen).“
Ein wichtiges Anliegen in einer Zeit, in der sich Menschen zunehmend in Meinungsblasen und mediale Echokammern zurückziehen. In ihnen wird die eigene, moralisch oder religiös aufgeladene, Haltung frei von lästiger Kritik bestätigt oder verstärkt.
Ist Platon in Palästina deshalb das richtige Buch zur richtigen Zeit? Bevor der Schwarze Peter tiefer eintaucht, um das herauszufinden, will er mehr über den Autor erfahren. Vor allem erhofft er sich Hinweise, was sich hinter dem originellen Titel verbirgt. Immerhin hat Platon vor mehr als 2000 Jahren das Zeitliche gesegnet. Ob er den Flecken Erde, der sich heute Palästina nennt, betreten hat, kann unser Philosoph nicht mit Gewissheit sagen.
Beim Stöbern auf Carlos Fraenkels Homepage erfährt er, dass der englischsprachige Originaltitel Teaching Plato in Palestine lautet. Das ist griffiger und gibt einen konkreten Hinweis auf den Inhalt.
Philosophische Weltreise
Statt wie der Schwarze Peter dem süßen Leben zu frönen, ist Fraenkel – mit Platon, Aristoteles, Avicenna, Maimonides, Spinoza und Nietzsche im Gepäck – über einen Zeitraum von zehn Jahren dorthin gereist, wo es für Philosophen unbequem ist: zu streng religiösen muslimischen Studenten in Indonesien, Slumbewohnern in Brasilien, chassidischen Juden in die USA, zu Indigenen in Kanada. Von diesen oft kontrovers geführten Gesprächen handelt der erste Teil des Buches.
An der palästinensischen Al-Quds-Universität diskutierte er im Rahmen eines Seminars mit muslimischen Studierenden Platons politische Philosophie… und zwar im Hinblick auf die Frage, ob die Integration von Religion in eine vernunftorientierte Struktur möglich ist. Etwas präziser: Ob die Philosophie das Potenzial hat, den Nahen Osten zu retten.
Unser Philosoph hat die Hoffnung auf eine friedliche Lösung dieses Konfliktes seit Langem aufgegeben. Carlos Fraenkel hingegen glaubt unverdrossen an die Vereinbarkeit von Vernunft und Religion… und damit an die Wirkmächtigkeit der Philosophie.
„Selbst wenn der Nahe Osten noch nicht bereit ist, gerettet zu werden, so kann die Philosophie doch einen wichtigen Beitrag leisten; durch rationale Argumente, die verstanden und bewertet werden können, frei von religiösen oder nationalen Bindungen.“
Ist es berechtigter Optimismus oder Hybris? Unser Philosoph hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen der Philosophie schon bei weniger komplexen Problemen jeglichen praktischen Nutzen absprechen. Umso mehr bewundert er Carlos Fraenkel für seine aufklärerische Sisyphusarbeit.
Die Kunst der Debatte
Die Methode, die Fraenkel bei seinen religiös oder spirituell geprägten Gesprächspartnern in den verschiedenen Ländern anwendet, ist gleichermaßen intelligent wie naheliegend. Mit Hilfe der sokratischen Hebammenkunst (Mäeutik) versucht er – seine Meinung niemals absolut setzend – mit den Teilnehmern zum Kern des Sachverhaltes vorzudringen und das Verbindende freizulegen. Dieser kleinste gemeinsame Nenner dient als Basis für eine von gegenseitigem Respekt und offenem Austausch geprägte Wechselrede (vgl. Wenzel). Denn:
„Im Allgemeinen nehmen wir an, dass die Gründe für unsere Überzeugungen und Wertvorstellungen auch für alle anderen Menschen gelten.“ (Fraenkel)
Deshalb fordert Fraenkel, die eigene Fehlbarkeit anzuerkennen. Mit der Auswahl seiner Gesprächspartner, der Themensetzung und der Wahl der Methode hat er die Komfortzone der akademischen Philosophie verlassen. Michael Walzer (dessen Sphären der Gerechtigkeit zu den Lieblingsbüchern des Schwarzen Peters zählt) nennt Fraenkel bewundernd einen „Abenteurer, der Philosophie an ungewöhnlichen Orten betreibt“. Dem kann unser Philosoph zustimmen. Wer sonst kommt auf die Idee, die christlich geprägte mittelalterliche Philosophie mit gläubigen Muslimen in deren Heimatländern zu diskutieren?
Zu viel des Lobes?
Die wärmenden Worte von Michael Walzer sind für Carlos Fraenkel ein (verdienter) philosophischer Ritterschlag. Etwas, das sich der Schwarze Peter ständig von uns wünscht. Ein weiterer Köder, das Buch zu kaufen, findet sich auf der Rückseite des Umschlages. Der britische The Independent schreibt:
„Wenn Sie dieses Jahr nur ein Buch lesen wollen – dann lesen Sie dieses.“
Das hält der Schwarze Peter für zu dick aufgetragen… zumal er der Meinung ist, dass jegliches Wissen unvollkommen ist und die geschätzten Kolleginnen und Kollegen vom The Independent nicht alle lesenswerten Bücher kennen werden. Sei’s drum, es ändert nichts daran, dass er Mit Platon in Palästina für ein sehr gutes, zeitgemäßes und wichtiges Buch hält.
Wie die meisten Werke, die das undogmatische Denken fördern, wird Fraenkel hauptsächlich eine bereits geneigte Leserschaft erreichen. Philosophische Grundkenntnisse sind hilfreich, aber nicht notwendig, um die Gespräche nachvollziehen zu können. Es ist, schreibt die Belletristik-Couch, "kein Buch über Philosophie, sondern vielmehr ein Buch über die Möglichkeiten der Philosophie". Auch aus diesem Grund hätte es Platon in Palästine verdient, den Weg in die Meinungsblasen Andersdenkender zu finden und deren Horizont zu weiten.
Über den Autor
Carlos Fraenkel, 1971 in Münster geboren, wuchs in Deutschland und Braslien auf. Er studierte in Berlin, Sao Paulo, Paris und Jerusalem Philosophie. Seit 2015 ist er Professor für Philosophie und Theologie an der McGill University Montreal in Kanada. Davor hatte er zwei Jahre lang eine Professur für Vergleichende Religionswissenschaften an der Oxford University inne.
Im Rahmen philosophischer Workshops, Seminare und After-Work-Gespräche widmete er sich von 2003 bis 2011 aus philosophsicher Perspektive allgemeinen Fragen und länder- oder gruppenspezifischen Konflikten. Dabei interessierte ihn vor allem die Frage, ob mit Hilfe der Philosophie kulturelle Gräben überwunden werden können.
Das Buch
Fraenkel, Carlos: Mit Platon in Palästina. Vom Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Welt, Carl Hanser Verlag, München 2016, gebundene Ausgabe 256 Seiten, ISBN 978-3446250673, 19,90 Euro.
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