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Aristoteles hätte den E-Roller gekauft

Aktualisiert: 16. Nov. 2020

Was du hast, das hat dich! Deshalb wollen wir unseren materiellen Besitz auf das Notwendige beschränken.


Dinge, die wir nicht ständig benötigen, leihen oder verleihen wir. Nicht aus Nächstenliebe, sondern weil z.B. Car-Sharing günstiger ist, als der Besitz eines tonnenschweren Blechhaufens. Weil die tageweise Vermietung der Zweitwohnung mehr Ertrag bringt, als ein Dauermieter.


Dank Apps haben wir flexiblen Zugriff auf eine Vielzahl von Gütern, ohne uns dauerhaft damit belasten zu müssen. Ob Auto, Fahrrad oder E-Roller, der Leihvorgang ist simpel: Wunschgefährt auswählen, benutzen, irgendwo abstellen, automatisiert bezahlen.


Aber - wo Licht ist, da ist Schatten. Beispiel E-Roller: Anders als erhofft, sorgen sie nicht für weniger Autoverkehr in deutschen Innenstädten. Warum nicht? Weil sie als Lifestyle-Objekt selten das Auto, dafür umso häufiger das Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel ersetzen.


Bedenklich ist die Lebenserwartung von 10 bis maximal 18 Monaten (bei optimaler Wartung). Warum dieser rapide Alterungsprozess? Was einem nicht gehört, wird weniger schonend behandelt. Das führt uns zu Aristoteles und dessen Gedanken über Privateigentum:


„Was den meisten gemeinsam ist, erfährt am wenigsten Fürsorge. Denn um das Eigene kümmert man sich am meisten, um das Gemeinsame weniger oder nur soweit es den einzelnen angeht.“

Aristoteles ist ein Befürworter von Privateigentum. Er ist von dessen Anreizfunktion überzeugt. Die Sorge um den Besitz nimmt zu, weil sich jeder Einzelne seinem Eigentum widmet. Auf unser Thema übertragen: Wer seinen eigenen E-Roller verwahrlosen lässt, muss Straßenbahn fahren (vorausgesetzt, es gibt kein Sharing).


Privateigentum hat laut Aristoteles zudem eine soziale Funktion:


„Wenn jeder für das Seinige sorgt, werden keine Anklagen gegeneinander erhoben werden […].“

Soll heißen: Die Frage „Wer hat’s kaputt gemacht?“ stellt sich nicht. Gut für den sozialen Frieden - im Freundeskreis, in der Familie und der Gesellschaft.


Zum Erfolg gemieteter E-Roller trägt bei, dass man sie stehen lässt, wenn man sein Ziel erreicht hat. Wie es ihm ergeht - egal! Das gemeinsam Genutzte wird vernachlässigt,


"weil sich doch ein anderer darum kümmern wird, so wie auch in den häuslichen Dienstleistungen viele Diener zuweilen weniger leisten als wenige". (Aristoteles)

Will man ein paar Stunden später zurück, mietet man einen anderen. Die App zeigt punktgenau, wo der nächste wartet. Eine Bindung kann nicht entstehen. Anders beim privaten Vehikel, das man für eine lange Haltbarkeit hegte und pflegte.


"Denn zwei Dinge erwecken vor allem die Fürsorge und Liebe der Menschen: das Eigene und das Geschätzte." (Aristoteles)

Sharing bewirkt, dass sich E-Roller weltweit sprunghaft vermehren und das Stadtbild prägen. Würde ich mir einen E-Roller kaufen, wenn man sie nicht mieten könnte? Bestimmt nicht: zu teuer, zu schwer, zu sperrig, zu begehrt, um ihn auf der Straße über Nacht stehen zu lassen. Manch anderer Nutzer denkt vielleicht ähnlich. Konsequenz: Es würde weniger E-Roller geben. Das Teilen sorgt für eine höhere Stückzahl und damit für zusätzliche Umweltbelastungen. Zum Laden und zur Wartung müssen die E-Roller mit Transportern eingesammelt und anschließend erneut verteilt werden.


Dass der Mangel an Fürsorge und die schiere Menge die Öko-Bilanz der E-Roller schlecht aussehen lässt, stört nicht mal Fridays For Future-Anhänger. Warum? Weil Teilen derzeit populär ist. Aristoteles' 2.500 Jahre alte Überlegungen könnten dieses Wohlgefühl stören. Das ändert aber nichts daran, dass Kaufen nachhaltiger sein kann als Teilen.






Literatur

Aristoteles: Politik, 10. Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006.


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