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Das kann ja heiter werden

Aktualisiert: 27. Feb. 2022

Heiterkeit und Philosophie – wer im Internet mittels boolescher Funktion diese beiden Begriffe eingibt, erhält magere 23 Treffer. Das spricht nicht für ein enges Verhältnis.


Wenn es einen Gemütszustand gibt, der in der abendländischen Philosophie Beachtung findet, dann ist es das Staunen – angereichert mit einer Prise Verwunderung. Platon und Aristoteles sahen darin gar die Initialzündung der Philosophie:


„Das Staunen ist die Einstellung eines Mannes, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“ (Platon)

Zweitausend Jahre später hat sich der Universalgelehrte (welch edle Berufsbezeichnung) Gottfried Wilhelm Leibniz staunend die Frage gestellt: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“


Auf die Antwort wartet die Menschheit bis heute. Das sägt an den Nerven und ist – zumindest in philosophischen Kreisen – ein schlechter Nährboden für heitere Stimmung.


Dabei sehnen sich die Menschen in ihrer metaphysischen Obdachlosigkeit (Novalis) nach Trost. Mit den Worten Edgar Schumachers:


„Gar viele Hilfen und Behelfe hat die Menschheit sich beschafft, um ihren mühseligen Weg durch die Zeiten vorwärts ein wenig zu ebnen und den Ausblick […] etwas froher zu gestalten.“ (Schumacher)


Probier‘s mal mit Heiterkeit


Von den in Frage kommenden Hilfen wirken aber nur jene dauerhaft, die im menschlichen Wesen selbst beheimatet sind. Unter ihnen, so Schumacher, ist die intrinsische Heiterkeit von besonderer Leuchtkraft. Zu den wenigen Philosophen, die diesen Begriff explizit erwähnen, gehört ausgerechnet der kauzige Arthur Schopenhauer:


„[A]lso sollen wir der Heiterkeit, wann immer sie sich einstellt, Tür und Tor öffnen: denn sie kommt nie zur unrechten Zeit.“

Heiterkeit ist der Gegenbegriff zur Schwermut. Sie schließt die Melancholie nicht aus, hält sie aber im Zaum. Schumacher unterscheidet zwei Formen der Heiterkeit. Sie kann ein Zufallsgeschenk sein oder ein von äußeren Einflüssen weitgehend unabhängiger Zustand der Seele. Die zweite Variante ist die nachhaltigere und damit nah an der stoischen ataraxia, der unerschütterlichen Seelenruhe. Sie geht über die bloße Fröhlichkeit hinaus.


„So sehr diese beiden von verschiedener Art sind, wird doch der Mensch den heiteren Moment am schönsten nützen, dem Heiterkeit zum wirklichen Besitz geworden ist.“ (Schumacher)

Bei der Heiterkeit handelt es sich „um jenes uralte menschliche Bedürfnis, trotz der grimmigen Härte des Daseins froh zu sein“ und dem Finsteren etwas von seinem Herrschaftsbezirk abzuringen (Schumacher).


Als Allgemeinbesitz ist die Heiterkeit eine kulturelle Errungenschaft. Schumacher erinnert an die Blütezeit der griechischen Antike, in der sich die Menschen mit dem Zuruf „sei freudvoll/vergnügt“ (χαῖρε) begrüßten. Dieser Gruß, der eine Aufforderung enthält, richtet sich an alle und an das Gegenüber.


Auf das Heiterkeitsniveau einer Gesellschaft hat der Einzelne, vom netten Gruß an seine Mitmenschen abgesehen, wenig Einfluss. Er kann aber die Fähigkeit entwickeln, dem Leben mit freudiger Gelassenheit zu begegnen, was indirekt der Gemeinschaft zugutekommt.



Per aspera ad astra


Durch das Raue zu den Sternen. Der Weg zur Heiterkeit kann anstrengend sein. Für den einen mehr, für den anderen weniger. Es hängt von der Veranlagung ab. Die Gabe setzt dem individuellen Bemühen Grenzen.


„Aber innerhalb dieser Schranken bleibt viel Freiheit und Möglichkeit, allem andern zuvor die Wahl der Richtung, des Hinauf oder Hinunter.“ (Schumacher)

Schumacher glaubt an die heilende Kraft der Heiterkeit. Das gilt auch, „wenn uns das Gemüt nicht [dazu] bestimmt hat". Er behauptet, dass man in Phasen des Trübsinns Herr seiner Stimmung werden kann, wenn es gelingt, sich heiter zu geben. Man kann die Heiterkeit durch Überwindung und Selbstdisziplin zur zweiten Natur werden lassen.


Sich entgegen der eigentlichen Befindlichkeit (dezent) heiter zugeben, ist für Schumacher Ausdruck einer aristokratischen Haltung und eine tolerierbare Form der Unaufrichtigkeit.


„Man halte es nicht für Heuchelei, wenn man ein freundliches Gesicht macht, während das Herz voll Leid und Kummer ist.“ (Schumacher)

Denn jeder Zoll Haut, so Schumacher, den man vom Leid befreit, ist ein Gewinn. Soll heißen, der Zweck heiligt die Mittel.


Für Ferdinand Fellmann ist Heiterkeit auch ein ästhetisches, d. h. künstlerisches Phänomen. Die durch Kunst vermittelte Heiterkeit hilft dem Menschen, sich wenigstens zeitweise von Trostlosigkeiten des Lebens zu distanzieren. Diese Form der Heiterkeit erwächst durch die Realisierung und/oder Betrachtung des Schönen (Wilhelm Schmid).




Der Weg zur inneren Freiheit


Die Heiterkeit führt zur gedanklichen Freiheit. So nimmt der heiter veranlagte Mensch das Trennende wahr, aber nicht unangemessen wichtig:


„[Er] verbraucht keine großen Kräfte mit dem Wegräumen von Hindernissen und kann im Begegnen mit andern die schaffenden und aufbauenden Gaben zur Wirkung bringen.“ (Schumacher)

Der gelassen Heitere ist nicht Sklave seiner Launen. Er bestimmt selbst das Gewicht, das er den Umständen und Dingen beilegen will.


Alles was einem widerfährt, kann aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. An dieser Stelle schlägt die Stunde des mit Frohsinn gesegneten Menschen:


„Aus dem Vielerlei der möglichen Gesichtspunkte wählt die Heiterkeit den erfreulichsten.“ (Schumacher)

Allerdings kann die Heiterkeit nicht direkt angestrebt werden. Es ist wie mit dem Pfeil des Amor, von dem man getroffen wird – oder eben nicht. Die heitere Grundstimmung ist ein Lohn der Überwindung. Kräfte von außen und in uns selbst (e. g. die Sorge) stemmen sich dem Durchbruch der Heiterkeit entgegen.


„Es wäre schwer begreiflich, wenn ein so kostbares Gut wie die innere Heiterkeit um billigen Preis erworben würde.“ (Schumacher)

Einen unkomplizierten Weg zur Heiterkeit hat ausgerechnet Friedrich Nietzsche skizziert. Für ihn führt der Weg über den Rausch, denn „nur durch eine solche Heiterkeit geht der Weg zur Erlösung“.


In diesem Sinne: Prost!





Literatur

Nietzsche, Friedrich: Kritische Studienausgabe, 15 Bände, Deutscher Taschenbuchverlag, de Gruyter, München 1999.

Schumacher, Edgar: Vom Segen der Heiterkeit, Artemis Verlag, Zürich 1958.


Halmer, Nikolaus: SCIENCE@ORF.at Veranstaltungsbeschreibung: Heiterkeit als Ausnahmezustand? Erkundungen zwischen Anthropologie, Ästhetik und Sozialpsychologie, vom 20.-22. Januar 2011 im Deutschen Literaturarchiv Marbach https://sciencev2.orf.at/stories/1674480/index.html (abgerufen am 13.02.2022)

Schmid, Wilhelm: Heiterkeit. Ein Radio-Portrait, vom 22.05.2001, in: https://www.deutschlandfunk.de/heiterkeit-ein-radio-portraet-100.html

(abgerufen am 13.02.2022).

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