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GASTBEITRAG: Sokrates trifft einen Wissenden

Was ist Wissen? Was kann ein Mensch wissen? Was sollte er wissen? Was kann er nicht wissen? Gibt es Nicht-Wissen? – Diese und weitere Fragen, mit denen man nach dem Wesen von Erkenntnis sucht, trieben und treiben Philosophen umher.

Christoph Eydt, Autor des Buches "SokratesK. Wider die Besserwisserei", Copyright: C. Eydt

Sokrates kann als ein Ur-Vater der Philosophie angesehen werden, denn mit seiner „Hebammenkunst“ ging er akribisch den Wissensbeständen seiner Zeitgenossen nach. Sein berühmter Satz „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ ist bis heute in der Philosophie genauso präsent wie im Allgemeinwissen:“ Wer war Sokrates?“ – „Das war doch der, der gesagt hat: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß.‘“


Nun haben Sie, liebe Leser, zwei Versionen des geflügelten Wortes zu lesen bekommen. Einmal: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Und ein weiteres Mal: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Gemeinhin gilt Zweiteres als Original, während der Satz mit dem „nichts“ eine modernere Adaption bzw. eine Fehlinterpretation darstellt. Zwischen „nicht“ und „nichts“ liegen nämlich Welten, was im Folgenden erforscht werden soll. Die Szenerie ist denkbar einfach: Sokrates trifft auf einen Menschen, welcher davon überzeugt ist, wissend zu sein. Einen Schritt zurückgedacht, könnte dieser Mensch zumindest davon überzeugt sein, dass Menschen das Potential haben, Wissen zu erlangen. Auf der einen Seite steht der Frager, der Zweifler, der Nörgler – eben Sokrates, und auf der anderen Seite steht ein Mensch stellvertretend für den Anspruch der Menschheit, Wissen zu erlangen. Doch sehet selbst:



Sokrates: „Ich habe gehört, du seiest ein wissender Mensch. Erkläre mir dies.“


Wissender: „Nun, ich genoss vortreffliche Bildung. Ich kenne die Klassiker, die Naturwissenschaften, ich weiß um Kunst und beherrsche das Handwerk. Ich kann mir eine Meinung bilden und zahlreiche oder zahllose Theorien beschreiben und erklären. Ich habe mehrere Abschlüsse und Weiterbildungen. Ich stehe in Kontakt mit intelligenten Menschen und wir diskutieren regelmäßig über Mensch, Gott und die Welt.“


Sokrates: „Was verstehst du unter Wissen?“


Wissender: „Nun hier will ich gerne eine angemessene Definition vorschlagen: Wissen bezieht sich auf Informationen, Erkenntnisse und Fakten, die eine Person durch Erfahrung, Lernen oder Forschung erlangt hat und die ihr Verständnis und ihre Kenntnisse über die Welt, bestimmte Themen oder Zusammenhänge erweitern. Wissen ermöglicht es uns, Probleme zu lösen, Entscheidungen zu treffen und auf unterschiedliche Situationen angemessen zu reagieren. Es bildet die Grundlage für intellektuelle und praktische Fähigkeiten sowie für den Austausch und die Weitergabe von Informationen zwischen Individuen und Generationen.“


Sokrates: „Wie ich sehe, erklärst du mit einer Theorie nur eine andere. Was ist daran genau Wissen?“


Wissender: „Das Wissen zeichnet sich doch gerade dadurch aus, dass ich über bestimmte Phänomene ziemlich sichere Aussagen treffen kann.“


Sokrates: „Hast du ein Beispiel dafür?“


Wissender: „Natürlich. Schau mal da drüben, der Baum da.“


Sokrates: „Okay.“


Wissender: „Dieser Baum ist eine Eiche.“


Sokrates: „Was macht jetzt das Wissen aus?“


Wissender: „Dass ich weiß, dass es eine Eiche ist. Und ich kenne natürlich die Merkmale einer Eiche. Und die kann ich in andere Zusammenhänge setzen. So kann ich z. B. auch sagen, dass eine Eiche ein gutes Zuhause für Eichhörnchen ist.“


Sokrates: „Woher weißt du, dass es wirklich eine Eiche ist?“


Wissender: „Na weil es eben eine ist.“


Sokrates: „Hm. Und das reicht dir schon als Wissen? Du weißt, weil du weißt? Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz.“


Wissender: „Wie meinst du das?“


Sokrates: „Ich würde nicht sagen, dass dies da drüben eine Eiche sei. Ich würde sagen: Einige Menschen haben sich einmal darauf geeinigt, dieses Gebilde als ‚Eiche‘ zu bezeichnen. Freilich gewonnen ist davon aber nichts. Man erkennt höchstens das Ordnungsbemühen der Menschen.“


Wissender: „Was nützt das denn?“


Sokrates: „Pass auf! Wenn ich uns beiden die Aufgabe gebe, dass jeder diesen Baum malen soll, dann haben wir am Ende zwei völlig verschiedene Bäume.“


Wissender: „Nein, haben wir nicht. Wir haben drei Bäume: Einmal die Eiche da drüben und dann zwei Interpretationen von uns, die jeder für sich gemalt hat.“


Sokrates: „Und was unterscheidet den Baum da drüben von unseren gemalten?“


Wissender: „Dass die Eiche echt ist.“


Sokrates: „Was heißt ‚echt‘?“


Wissender: „Na dass etwas eben wirklich da ist.“


Sokrates: „Die gemalten Bäume sind auch da. Und was heißt ‚wirklich‘?“


Wissender: Wirklich ist, was wahr ist, was einfach Fakt ist. Da drüben steht eine Eiche und die kann man nicht wegreden oder wegdenken. Sie ist da. Punkt.“


Sokrates: „Was heißt schon ‚da‘?“


Wissender: „Man kann hingehen, sie berühren, Blätter abreißen. Man kann sie gießen. Man kann sie sehen oder riechen. Wir können uns auch über sie unterhalten.“


Sokrates: „Können wir das, weil sie da ist, oder ist sie da, weil wir wissen, sie ist da?“


Wissender: „Sie ist da und alle sehen sie, egal ob man das Teil nun ‚Baum‘ nennt oder ‚Rakete‘ oder sonst wie.“


Sokrates: Wenn die Begriffe egal sind, was hat das dann noch mit dem Phänomen zu tun?“ Gestalten sich die Phänomene nicht vielmehr über die Begriffe? Sieh nochmal deine Zeichnung an.“


Wissender: „Meinst du, dass der Baum nur eine Theorie ist?“


Sokrates: „Natürlich, weil du fremdbestimmte Vorstellungen von ‚ihm‘ hast. Allein das Wort ‚Eiche‘ reicht soweit in fremde Dimensionen, dass du meinst, es wäre dein Wissen. Bei genauerer Betrachtung kannst du sehen, dass davon nichts deins ist und dass Wissen erstmal nichts weiter zu sein scheint als eine Tradierung von Unterstellungen. Welche Aussage kannst du über diesen sogenannten Baum treffen, die wirklich und unter allen Umständen wahr ist und wie willst du diese Wahrheit erkennen?“


Wissender: „Ich glaube, das geht gar nicht.“


Sokrates: „Und damit bist du in der nächsten Falle, hast die nächsten Begriffe, die nächsten Theorien bzw. den nächsten Glauben. Wie kannst du wissen, dass es nicht ginge?“


Wissender: „Ich weiß es ja nicht. Daher sagte ich, dass ich es glauben würde.“


Sokrates: „Warum bist du dir dann beim Baum sicherer gewesen und hast vom Wissen gesprochen?“


Wissender: „Wenn ich darauf antworte, würdest du mir doch nur noch eine weitere Frage stellen, oder?“


Sokrates: „Vielleicht.“


Wissender: „Mit Sicherheit!“


Sokrates: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“


Wissender: „Was heißt das?“


Sokrates: „Die Eiche könnte nichts sein. Wie könnte ich dann wissen über sie?“


Unwissender: „Was ist das Nichts?“


Sokrates: „Wenn ich nicht weiß oder wissen kann, was bin ich?“


Unwissender: „Nichts?“


Sokrates: „Was ist das Nichts?“




Über den Autor

Christoph Eydt, Jahrgang 1985, studierte in Halle (Saale) Geschichte, Theologie, Pädagogik und Psychologie. Er ist hauptberuflich Autor und widmet sich insbesondere erkenntnistheoretischen Fragestellungen. Sein neustes Buch trägt den Titel „Sokratesk. Wider die Besserwisserei.“ Es erscheint im Periplaneta-Verlag in Berlin und stellt Sokrates als Prinzip vor gegenüber zahlreichen und sorgfältig ausgewählten Überzeugungen, Ziele und Meinungen des deutschen Zeitgeists. Was würde wohl Sokrates in aktuellen gesellschaftlichen Diskursen sagen? – Ein Versuch!




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