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AutorenbildDer schwarze Peter

Im Zweifel gegen den Zweifel*

Aktualisiert: 22. Okt. 2023

Die Philosophie - edel und aristokratisch, aber weltfremd und ohne praktischen Nutzen.


Die Philosophie ist ideal für Menschen, die keine Sorgen haben. So das Vorurteil. Zugleich der wunde Punkt, an dem sich unser Philosoph getroffen fühlt. Er ist von der Alltagsrelevanz der Philosophie überzeugt. Beispiel gefällig?


„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

Ein Sokrates zugeschriebenes, oft falsch interpretiertes Diktum. Leider hat Sokrates kein einziges geschriebenes Wort hinterlassen. Deshalb ist die Nachwelt auf die Werke seines Schülers Platon angewiesen. Unser Philosoph schreitet zu seiner penibel geordneten Bibliothek: Oberstes Regal→Antike→Platon→Dialoge→Apologie.


Was meint Sokrates mit diesem Satz? Was lehrt er uns? Dass der Mensch in seiner Beschränktheit niemals „das Ganze“ erfasst? Naheliegend, aber falsch. Ungeduldig blättert unser Philosoph in Platons „Apologie“. Die berühmt gewordene Formulierung findet er darin nicht. Dafür eine differenziertere, die ihn auf eine vielversprechende Fährte führt:


„Ich weiß nämlich ganz genau, dass ich nicht weise bin, weder viel noch wenig.“ (Sokrates)

Es geht also nicht um Fachwissen, sondern um lebensrelevantes Wissen. Kurz gesagt, es geht um Weisheit.


Der Reihe nach: Chairephon, ein Kumpel von Sokrates, befragt das Orakel von Delphi, ob es in Athen einen weiseren Mann als Sokrates gebe. Die Antwort: Niemand ist weiser. Ein Kompliment nach dem Geschmack unseres Philosophen. Der bescheidenere Sokrates hingegen zeigt sich irritiert und neugierig. Was hat es mit dem Spruch des Orakels auf sich? Selbstkritisch stellt sich Sokrates die (heutzutage unpopuläre) Frage, worin seine Weisheit besteht.


Was macht ein vernünftiger Mensch, wenn er etwas nicht versteht? Er konsultiert Experten. Sokrates macht sich auf den Weg. Dabei trifft er Politiker, Dichter und Handwerker. Ihm dämmert, sie alle besitzen nicht die Weisheit, die sie vorgeben. Unser sensibler Philosoph spürt förmlich Sokrates’ Enttäuschung.


Warum? Zwar verfügen alle Befragten über Spezialwissen, das Sokrates fehlt. Aber sie machen einen Fehler: Sie maßen sich an, Dinge außerhalb ihres Fachgebietes zu beurteilen. So


„[…] bildete ein jeder sich ein, er sei auch im übrigen ganz ungeheuer weise, so daß […] diese Beschränktheit ihre Weisheit wieder aufhob.“

Sokrates ahnt, warum das Orakel von Delphi ihn für den Weisesten im Staate Athen hält: Er ist sich der Grenzen seines Wissens bewusst. Sein jeweiliger Gesprächspartner aber


„[…] bildet sich ein, etwas zu wissen, obwohl er nichts weiß, während ich, der ich nichts weiß, mir auch nichts zu wissen einbilde.“

Unser Philosoph hat es sich gedanklich in der Antike gemütlich gemacht. Was war der Anlass für diesen Beitrag? Er möchte die Aktualität und praktische Anwendbarkeit des 2.500 Jahre alten Satzes „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ aufzeigen.


Cartoon: Robert Rauschenbach

Er denkt an manche Vertreter alternativer Heilmethoden. Häufig behandeln sie Menschen bei psychischen und körperlichen Problemen ohne ein fundiertes Studium. Das kann gut gehen, wenn sich der esoterische Helfer seiner Wissensgrenzen bewusst ist. Wenn er Zweifel an der eigenen Kompetenz zulässt. Wenn er im Grenzfall auf eine Behandlung verzichtet und den Patienten an einen Spezialisten verweist.


Was unseren Philosophen an der esoterischen Medizin und Psychologie wundert: die weit verbreitete Immunisierung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen. Damit verbunden der Mangel an selbstkritischer Reflexion.



„Derartige Selbstüberschätzung offenbart […] den Nicht-Wissenschaftler, Spiritualisten, den antirationalen Esoteriker, der lieber glaubt als denkt und lieber genau weiß als zweifelt.“ (ScienceFiles)


* Die Inspiration zu dem Titel dieses Beitrags verdanke ich der Hamburger Band Tocotronic und ihrem Song "Im Zweifel für den Zweifel". Vielen Dank dafür!



Literatur

Bordt, Michael: Platon. Spektrum Meisterdenker, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau.

Platon: Apologie des Sokrates. Krition, Reclam, Stuttgart 2000.

Platon: Sämtliche Werke. Band 1, 32. Auflage, Rowohlt Verlag, Hamburg 2011.




1 Kommentar

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1 Comment


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Dec 06, 2019

danke schwarzer Peter für die gute Erklärung. Nun ist mir wieder in Erinnerung gebracht, dass man bei Selbstüberschätzung und blindes Vertrauen sich diesen Satz, immer wieder vor Augen führEn sollte. Dies gilt insbesondere auch in der Politik !;)


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