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Philosophie und Kosmologie – Getrennte Zwillinge

Die Physik ist die philosophischste aller Naturwissenschaften. Warum? Weil sie im Gegensatz zur Biologie und Chemie auf keine sie begründende oder erklärende Wissenschaft zurückgreifen kann.


Während biologische Phänomene auf chemischen Prozessen basieren, und diese auf physikalischen, bleibt die Physik als „letzte Instanz“ auf sich selbst gestellt. In ihrem Fachgebiet befindet sich der naturwissenschaftliche Erkenntnishorizont.

 

 

Am Anfang war Begeisterung


Beispielsweise stellt für die Kosmologie (ein Teilbereich der Astrophysik) die Zeitspanne der ersten 10−43 Sekunden nach dem Entstehungsereignis eine bis dato unüberwindbare Grenze dar. In ihr gelten weder die physikalischen Gesetze noch das Standardmodell der Kosmologie. Ganz zu schweigen von der Frage, was vor dem Urknall war.

 

Dazu der Physiker, Theologe und Philosoph Stefan Bauberger:


„Naturalisten kritisieren zu Recht einen naiven Schöpfungsbegriff, der dort ansetzt, wo die Naturwissenschaft noch keine gute Erklärung gefunden hat, nach dem Motto: ‚Für alles nach dem Urknall ist die Physik zuständig, aber der Urknall selbst, den hat Gott gemacht.‘“

 

Naturwissenschaftler, die mit Hochmut auf die Theologie und Philosophie blicken, prophezeit Louis Pasteur (1822-1895) eine ernüchternde Erfahrung:

 

„Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber am Grund des Bechers wartet Gott.“

 

Oder, wem die religiöse Note suspekt ist, ein anderes metaphysisches Prinzip, das sich ebenfalls der Bestimmung entzieht. Was nichts daran ändert, dass sich der anfängliche Rausch in Demut oder Ratlosigkeit verwandelt. Ein Umstand, mit dem sich die Philosophie früh arrangieren musste.


Copyright Frank Brüning

Unbequeme Verwandtschaft


Wer den Stammbäumen der Philosophie und Physik bis zur Wurzel folgt, wird von der verwandtschaftlichen Nähe überrascht sein.

 

„Als älteste philosophische Disziplin gehört sie [die Kosmologie, PM] in der traditionellen Gliederung der Philosophie zur Speziellen Metaphysik. Ihre inhaltlichen Wurzeln reichen zurück bis in frühgeschichtliche Mythen und zu den Vorsokratikern.“ (Metzler)

 

Die Vorsokratiker (ca. 469-399 v. Chr.) verorteten die Gründe für die „Wunder“ der Natur nicht in der Metaphysik oder im göttlichen Wirken, sondern in den Erscheinungen selbst. Für sie war der Urgrund allen Seins rein physikalischer Natur. Damit läuteten sie einen bedeutsamen Geisteswandel hin zu einem naturwissenschaftlich empirischen Weltverständnis ein.

 

Die Frage nach dem Ursprung sollte allen Menschen gleichermaßen durch die Vernunft zugänglich sein. Dazu musste sich das Denken von limitierenden religiösen Vorstellungen befreien (Josef Schmidt)

 

„So ist die [..] aufblühende Philosophie Ausdruck der erwachten Persönlichkeit, der geistigen Mündigkeit des Menschen“ (Walther Kranz)

 

Die Vorsokratiker waren Materialisten, wobei sie eine göttliche Instanz und Ordnung nicht in Frage stellten. Dennoch waren sie überzeugt, dass eine innerweltliche Substanz für die Entstehung und Entwicklung der Welt ursächlich ist. Im Hinblick auf die Beschaffenheit des gesuchten Urstoffs klafften die Meinungen auseinander: für Thales war es das Wasser, für Anaximenes die Luft, für Heraklit das Feuer und (besonders originell) für Anaximander das Apeiron, also das Unbegrenzte. 

 

Damit waren sie die ersten, die jenseits der Religion prominent und mit Beharrlichkeit die Frage nach dem Ursprung der Welt (archḗ) stellten.

 

„Heute gehört [diese Frage] für uns als geistiges Problem – das Substanzproblem als solches – zur Philosophie, als stoffliches zur Naturwissenschaft; damals war sie eine ganz schlichte Einheit, gleichsam nur ein kleiner Kern, aber voll wunderbarer Zeugungskraft.“ (Kranz)

 

Im antiken Griechenland von vor 2.500 Jahren existierte diese Unterscheidung noch nicht. Die Trennung erfolgte schleichend. Im Laufe der Jahrhunderte gingen beide „Disziplinen“ eigene Wege und entfernten sich zunehmend voneinander. Die sich immer weiter spezialisierenden Naturwissenschaften haben dabei den ertragreicheren und prestigeträchtigeren Pfad gewählt. Gegenüber der Philosophie erweiterten die Naturwissenschaften mit jeder Entdeckung ihr Kompetenzfeld, während das der Philosophie schrumpfte. Denn:


Eine Frage, die naturwissenschaftlich beantwortet werden kann, hört auf, eine philosophische zu sein.

 

Eine Gemeinsamkeit der Physik und Philosophie bleibt: Die Naturwissenschaften stoßen am Grund des Bechers an ihre Grenze… im Fall der Kosmologie ist es der Urknall und die kurze Zeitspanne danach. Die Philosophie startet mit ihrer Suche nach einer Erklärung für das Ganze der Welt knapp oberhalb des Bechergrundes, findet aber ebenfalls keinen Weg über diese Hürde. Angesichts der Letztfragen sind beide in Ratlosigkeit vereint.

 

  

Neue Aufgabengebiete


Zwar haben sich die Naturwissenschaften und die Philosophie nie ganz aus den Augen verloren, aber das Kräfteverhältnis war asymmetrisch. Zum Glück hat sich – Sokrates, Platon und Aristoteles sei‘s gedankt – mit der Ethik und der Frage nach dem gelungenen Leben (eudaimonia) ein breitenwirksames und zukunftsträchtiges Betätigungsfeld eröffnet.

 

Zudem hat die Philosophie in Form der Wissenschaftstheorie ihre Berechtigung im weiten Feld der Forschung. Sie beschäftigt sich mit der Frage, was Wissenschaft ist und was sie zu erkennen in der Lage ist (Bauberger).

 

Grundsätzlich gibt es zwei Erkenntnisquellen, die grundlegend verschieden sind:

 

  • Empirische Erkenntnis (die aus Sinnesdaten gewonnen wird)

  • Mathematisch/logische Analyse (die allerdings nichts über die Beschaffenheit der Welt lehrt.

 

Laut Stefan Bauberger besteht die Aufgabe der Philosophie auch darin, über die Methoden der Empirischen Wissenschaften (z. B. der Physik) zu reflektieren und Hilfestellung zu geben. Sie soll zur Klärung der Begriffe und Sätze in den Wissenschaften beitragen. Die Philosophie wird dabei zur Magd der empirischen Wissenschaften. Das klingt nach einem wenig erstrebenswerten Job, aber über diese Rolle nähert sich die Philosophie nach Jahrhunderten der Trennung wieder an die Naturwissenschaften an und gewinnt in deren Bereich an Relevanz.

 

 



 

 

Wer es gerne ausführlich, aber dennoch verständlich möchte:




 

Literatur

Kranz, Walther: Die griechische Philosophie, Verlag Schibli-Doppler, Basel 1955.

Schmidt, Josef: Philosophische Theologie, Grundkurs Philosophie, Band 5, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2003.

 

 

 

 


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