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Autorenbildfowlersbay

Sie geben keine Autogramme mehr

Meine Vergänglichkeit wird mir bewusst, wenn ich mich existentiell bedroht fühle oder nahestehende Menschen verliere. Ich spüre sie, wenn ich von liebgewordenen Gewohnheiten, Privilegien und Gegenständen Abschied nehmen muss.

Jeffrey Lee Pierce, The Gun Club (1958-1996)

So sind die vielen aufeinanderfolgenden oder sich überlappenden weltweiten Krisen mehr als eine Störung meiner individuellen Komfortzone... zu viele Menschen stehen derzeit emotional und finanziell mit dem Rücken zur Wand.


Die Furcht, fortan auf Wohlstand, Sicherheit und Lebensfreude verzichten zu müssen, verstärkt meine Erinnerungen an bessere Zeiten. Aber es sind nicht nur die großen, existenzbedrohenden Notlagen, die mich nostalgisch werden lassen.





Wenn Idole sterben


Manchmal wirft mich der Tod eines Prominenten, dem ich nie begegnet bin, aus der Bahn. Warum? Weil er durch sein künstlerisches Wirken meine Jugendzeit und damit meine Entwicklung, meine Identität maßgeblich geprägt hat. Die Musikerin Stevie Nicks schreibt in ihrem Nachruf auf ein Mitglied der australischen Popgruppe The Bee Gees:


„Ruhe in Frieden, Robin Gibb. Der Soundtrack meiner wunderbaren Jahre verflüchtigt sich langsam in Anbetracht dieser Vielzahl von Verlusten musikalischer Ikonen in der letzten Zeit.“

Diese berührenden Worte zeugen von Trauer, Schmerz und Wertschätzung. Zugleich weisen sie über den Verstorbenen hinaus. Stevie Nicks fasst prägnant Gefühle in Worte, die entstehen, wenn Idole der Jugend gebrechlich werden oder sterben.


Was waren, um an Stevie Nicks anzuknüpfen, meine wunderbaren Jahre? Jetzt, da ich stramm auf die 60 zugehe, erinnere ich mich mit sanfter Wehmut. Ich war 15 Jahre, fühlte mich unsterblich und hörte auf meiner geliebten Stereoanlage zum ersten Mal eine Platte der Rolling Stones. Luftgitarre spielend, nudelte ich die Platte so lange rauf und runter, bis ich dachte, ich wäre ein weiteres Bandmitglied.


Es war eine Flucht, genauer gesagt ein Fluchtversuch – aus der Enge einer Welt, die vom materiellen Aufstiegswunsch meiner Eltern geprägt war. Ich konnte es ihnen nach den entbehrungsreichen Jahrzehnten nicht verübeln, zumal ich als Nachkriegskind enorm davon profitierte. Trotzdem suchte ich das Weite und die Weite… in der Musik und auf Reisen.



Zusammen altern


Jetzt, vierzig Jahre später, höre ich noch immer die Stones, AC/DC und andere vertraute Wegbegleiter – immerhin sind wir zusammen alt geworden. Aber die Gefühle haben sich verändert. Macht nix, die Stones sind auch keine Rebellen mehr.


Grabstelle von Bon Scott, AC/DC (1946-1980)

Mein Musikgeschmack war auch ein Ausdruck des Aufbegehrens gegen den gesellschaftlichen Konformismus. Er gab mir Energie und Hoffnung. Mein Blick war, mit all den korrespondierenden Gefühlen der ungestümen Jugend, in die Zukunft gerichtet. Heute wandert er bei den gleichen Liedern in umgekehrter Richtung, wird zur Rückschau und ist durchwirkt von nostalgischer Verklärung. Dabei erinnere ich mich an die Vitalität der Jugend, den weiten Horizont und besondere Wegmarken des Lebens, die bis heute mit bestimmten Liedern untrennbar verbunden sind.


Da waren allerlei exotische Berufswünsche: Hubschrauberpilot, Ranger in Kanada oder berühmter Gitarrist. Manches davon hätte ich werden können, vieles mangels Talent nicht. Übrig geblieben sind sogenannte helle Schatten, d. h. die nichtgelebten Möglichkeiten, die das Leben bietet. Ich schreibe das ohne Bedauern, denn mein Leben war und ist abwechslungsreich, von stabilen Freundschaften gesegnet und als Ganzes betrachtet gelungen. Dass es mir heute vergönnt ist, einen Philosophieblog zu betreiben, gehört zu den vielen glücklichen Wendungen.


Warum nimmt es mich dann so mit, wenn ein mir fremder Mensch stirbt? Weil mit jedem Mal eine bedeutende Stimme meiner Generation und eine Brücke zu meinem jugendlichen Ich verschwindet. Walter Bau von der Berliner Morgenpost schrieb 2016 über den verstorbenen Musiker David Bowie:


„Ich fühlte, da war mehr für mich gestorben als ein großer Musiker. Da starb ein Stück meiner Jugend.“

Es bleibt die Einsicht, dass immer mehr von den prägenden Figuren meiner Jugend keine Autogramme mehr geben werden. Das ist bitter für mich, denn:


„Idole sind nicht ersetzbar, nicht austauschbar. Ebenso wenig die Gefühle, die sie in uns wecken.“ (Walter Bau)





PS: Ich danke meinem alten Buddy, Ralph R. Rogner für den Titel dieses Beitrages.


Literatur

Bau, Walter: David Bowie, Ali, „Schimanski“ – Wenn unsere Idole sterben, in Berliner Morgenpost vom 29.06.2016, in: https://www.morgenpost.de/vermischtes/stars-und-promis/article207749223/David-Bowie-Ali-Schimanski-Wenn-unsere-Idole-sterben.html (abgerufen am 14.07.2022)


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