Wäre Immanuel Kant nicht im zarten Alter von 80 Jahren verstorben, könnte er am 22. April zusammen mit uns seinen 300. Geburtstag feiern. Um dem Königsberger Philosophen zu ehren, finden in diesem Gedenkjahr zahlreiche Veranstaltungen statt.
Diese Ehrbezeugungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich im Land der Dichter und Denker immer weniger Menschen für schöngeistige Persönlichkeiten wie Immanuel Kant interessieren
Dennoch ist man stolz auf den deutschen Philosophen... selbst dann, wenn man sein sperriges Werk nicht vollumfänglich verstanden hat. Nebenbei gefragt: Hat jemand die Kritik der reinen Vernunft (KrV) von vorne bis hinten gelesen? Falls nicht, ist das kein Beinbruch, denn man befindet sich in bester Gesellschaft. Der Philosoph Moses Mendelssohn, ein renommierter Zeitgenosse Kants, bezeichnete sie als ein „Nervensaft verzehrendes Werk“ und gestand, sie trotz mehrfacher Anläufe nicht bewältigt zu haben.
Gut gealtert
Eigentlich sollte der Eröffnungskongress im April dieses Jahres in Kants Geburtsstadt Königsberg stattfinden. Die pikante Schattenseite: Königsberg heißt seit 1946 Kaliningrad und gehört als Exklave zum heutigen Russland.
Wegen des Krieges in der Ukraine kann der Eröffnungskongress der rührigen Kant-Gesellschaft nicht in Königsberg stattfinden, sondern im beschaulichen, aber geopolitisch unbelasteten Bonn. In der dortigen Bundeskunsthalle läuft ohnehin bis zum 17. März eine Ausstellung mit dem Titel: „Kant und die offenen Fragen“.
Derer gibt es viele: „Was kann ich wissen?“ (Erkenntnistheorie), „Was soll ich tun?“ (Ethik) und „Was darf ich hoffen“ (Metaphysik). Diese drei zentralen Fragen korrelieren mit Kants wichtigen Werken, der „Kritik der reinen Vernunft“, der „Kritik der praktischen Vernunft“ und „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.
Über den Jubilar
Werfen wir einen Blick auf den Mann, den wir dieses Jahr ausgiebig feiern wollen. Am 22. April 1724 erblickte er als Emmanuel Kant (den Vornamen änderte er später aus unbekannten Gründen) in besagtem Königsberg das Licht der Welt.
„Wie ein Mensch seinen Tag gestaltet sagt mehr über ihn und sein Leben aus als sonst eine Information.“ (Ralph Ludwig)
So viel sei verraten: Es gibt zeitgeschichtlich relevante Personen, deren Ruhm einem besonderen Charisma oder extravaganten Lebenslauf geschuldet ist. Nicht so bei Kant. Von seinem philosophischen Wirken abgesehen, war sein Alltag von bemerkenswerter Mittelmäßigkeit und Eintönigkeit. Von seinem geliebten Königsberg hat er sich zeitlebens nur widerwillig und nie viel weiter als 100 Kilometer entfernt.
Da war unser Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe mit seinen zahlreichen Liebschaften und der Vorliebe für süchtig machende Substanzen aus einem anderen Holz geschnitzt. Weil wir gerade bei Goethe sind: Durch Fürsprache Friedrichs des Großen wurde Kant im fortgeschrittenen Alter von 40 Jahren erstmals eine Professur und damit eine Festanstellung angeboten. Da es sich um einen Lehrstuhl für Dichtkunst handelte, lehnte er „dankbar“ ab. Lieber verdingte er sich weitere 6 Jahre als Hilfsbibliothekar, bis ihn endlich der Ruf für den ersehnten Lehrstuhl für Philosophie in Königsberg erreichte.
Ein weiteres Jahrzehnt verging und nichts deutete auf einen philosophischen Paukenschlag hin. Der erfolge 1781 umso eindrücklicher mit der Veröffentlichung der Kritik der reinen Vernunft.
Die zeitlose Bedeutung seines Denkens
Um außerhalb des selbstreferenziellen akademischen Betriebs von Belang zu sein, muss Philosophie den gesellschaftlichen Diskurs anreichern und vorantreiben. Anders ausgedrückt: Sie muss sich im Alltag bewähren und die Menschen erreichen.
Erfüllt Kants geistige Hinterlassenschaft diese Anforderungen? Was die Relevanz anbelangt, eindeutig Ja. Anders sieht es betreffend die Zugänglichkeit seines Werkes aus. Man kann es nicht anders sagen: Kant hat auf Leser ein abschreckende Wirkung. Das ist ein Grund dafür, dass sich Interessierte meist über verständlicher geschriebene Sekundärliteratur dem Meister nähern.Trotz dieses "Makels" ist es angemessen, den Deontologen (Pflichtethiker) Kant mit all seinen Facetten zu ehren.
Um dies zu belegen, werden wir uns im nächsten Blogbeitrag ausführlich mit Kants kategorischem Imperativ beschäftigen. Er enthält die wichtigsten Elemente seiner Pflichtethik und kann als Destillat seiner Philosophie angesehen werden.
„Der kategorische Imperativ: Von ihm gehört haben viele, ihn zu erklären gelingt nur wenigen.“ (Ralf Ludwig)
Unser Versprechen: Nach der Lektüre wird der kategorische Imperativ unseren Leserinnen und Lesern kein Rätsel mehr sein.
Veranstaltungen zum 300. Geburtstag
Für heute belassen wir es dabei, einige Hinweise zu geplanten Präsenz- und Onlineveranstaltungen im Rahmen dieses Gedenkjahres zu geben. Es handelt sich um eine kleine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
1.) Bundeskunsthalle Bonn
Zahlreiche kostenlose Führungen und Vortragsreihen (speziell auch für Sehbehinderte und Blinde) in Zusammenarbeit mit dem Digitalen Kant Zentrum NRW.
2.) Kant-Gesellschaft e.V.
Internationaler Studierendenkongress zum 300. Geburtstag Kants (8.-13. September 2024 in Bonn).
3.) Freunde Kants und Königsbergs e. V.
Diverse Vorträge und Tagungen
4.) Religionsphilosophischer Salon
Lesenswerte Artikel über Kant
5.) Ostpreußisches Landesmuseum
Bau des ersten Kant-Museum Deutschlands
6.) Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg
40 Beiträge über Kants Konzeption der Vernunft
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