Leibniz - Alles ist mit allem verbunden
- fowlersbay
- 12. Mai
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Jeder Mensch trägt die gesamte Weisheit des Universums in sich. Na ja, Vernunft und Weisheit sind keine Begriffe, an die man bei der Menschheit zuvorderst denkt. Wer kommt auf diese Idee? Der Leipziger Erkenntnistheoretiker und Rationalist Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716).

Leibniz geht davon aus, dass Gott ein Universum erschaffen hat, in dem alles mit allem verbunden ist. Deshalb ist es grundsätzlich möglich, diesen Verbindungen wie in einem Organigramm zu folgen „und das gesamte Universum allein durch den Gebrauch der Vernunft zu begreifen“ (Will Buckingham).
Vernunft- und Tatsachenwahrheiten
Die Erkenntnismöglichkeit betreffend, unterscheidet Leibniz zwischen Vernunft- und Tatsachenwahrheiten. Zu den Vernunftwahrheiten kommt der Mensch a priori, also durch logisches Schließen. Allerdings kann er nur eine überschaubare Anzahl von Vernunftwahrheiten (z. B. der Mathematik) erfassen.
Um sich der Welt zurechtzufinden, braucht der Mensch zusätzlich die Tatsachenwahrheiten. Diese werden durch Anschauung und Erfahrung gewonnen. Für einen vergeistigten Philosophen haben Vernunftwahrheiten eine andere Bedeutung als für einen australischen Ureinwohner, dessen Überleben von der Einsicht in Tatsachenwahrheiten (z. B. Springflut bei Vollmond) abhängt.
Aber: Wenn alles mit allem zusammenhängt, kann man von einer Tatsachenwahrheit (z. B. Sommer in Europa) auf eine Vernunftwahrheit (Sommer in Europa = Winter in Australien) schließen. Wer seinem Verstand nicht traut, kann sich in ein Flugzeug setzen und davon überzeugen.
Die Monaden
Für Leibniz setzt sich das Universum aus geistigen Substanzen zusammen. Diese unteilbaren Einheiten – Leibniz nennt sie Monaden – haben keine „Fenster“ nach außen. Sie sind ganz für sich, voneinander isoliert und ohne die Möglichkeit, aufeinander einzuwirken.

Im Gegensatz zum allgemeinen Verständnis, haben Substanzen nicht zwingend eine Ausdehnung. Um Substanz zu sein, reicht es aus, von nichts anderem abzuhängen. Damit ist Leibniz nahe am Dualismus von Rene Descartes und dessen Unterscheidung zwischen res cogitans (körperloser denkender Substanz) und res extensa (räumlich ausgedehnter Substanz).
Wie erklärt Leibniz die offenkundige Ordnung und Synchronisation des Universums? Durch die von Gott eingerichtete prästabilierte Harmonie, in der alle Monaden perfekt synchronisiert sind. Das ist nur unter der Annahme vorstellbar, dass jede einzelne Monade eine Repräsentation des gesamten Universums in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist.
„Überdies ist jede Substanz [Monade, Anm. d. Verf.] gleichsam eine Welt im Ganzen und ein Spiegel Gottes oder vielmehr des ganzen Universums.“ (Leibniz)
Da Leibniz von einem geordneten Universum ausgeht, muss das „Verhalten“ jeder einzelnen Monade dem geordneten Ganzen dienen. Das bedeutet, dass sich jede Monade – aus vollkommener Einsicht („Vernunft“) in die gesamten Abläufe des Universums – ihrer „Aufgabe“ entsprechend verhält.
Gott hat, als er die Monaden schuf, alle aufeinander abgestimmt. Wie ein Uhrmacher der bei mehreren Uhren die die gleiche Zeit einstellt. Dabei folgt jede einzelne Uhr nur ihrem inneren Mechanismus (Uhrwerk) folgen. Leibniz nennt dieses Phänomen die harmonia praestabilita,
Vernunft- versus Tatsachenwahrheiten
Für Leibniz zählen nur Vernunftwahrheiten, die allesamt notwendig (nicht kontingent) sind. Allerdings sind auch Tatsachenwahrheiten
„Vernunftwahrheiten, zu denen wir gelangen könnten, wären wir nur imstande, unsere rationale Analyse zu einem Ende zu bringen.“ (Buckingham)
Hätte der Mensch kein geistiges Ressourcenproblem, könnte er auf empirisch gewonnene Tatsachenwahrheiten verzichten. Alles, was die Natur uns offenbart, wäre a priori einsichtig.
Da für Leibniz jede Seele eine Monade darstellt, ist auch im Menschen eine vollständige Repräsentation des Universums angelegt. Deshalb ist es grundsätzlich möglich, alles über den Kosmos und das Universum a priori zu wissen.
In der Praxis sieht es anders aus, denn die notwendigen Untersuchungen zur Bestimmung komplexer Vernunftwahrheiten wären laut Leibniz unendlich. Anders ausgedrückt: Es handelt sich um ein Ressourcenproblem. Wäre die menschliche Denkkapazität gottähnlich groß, könnten wir alle Fragen durch vernünftige Überlegungen beantworten (vgl. Buckingham).
So gesehen, sind alle Wahrheiten Vernunftwahrheiten. Allerdings weiß nur Gott allein a priori. Der Mensch bleibt weiterhin auf empirisch gewonnene Erkenntnisse angewiesen.
Was ist mit der Willensfreiheit?
Kann es in Leibniz‘ Theorie Willensfreiheit geben? Eine relevante Frage, weil Leibniz jede geistige Substanz, also auch die individuelle menschliche Seele, für eine Monade hält, die nicht anders kann, als vernünftig (im Sinne Gottes) zu handeln.
„Wie kann ich wählen, wenn Gott schon weiß, wie ich handeln werde?“ (Buckingham)
Leibniz ist der Meinung, dass Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen hat, in der es uns so erscheint, als wäre die Zukunft unbestimmt. Als begrenzte Wesen (Descartes spricht vom Mängelwesen Mensch) können wir die Zusammenhänge und Festlegungen nicht erkennen.
Dennoch gibt es Freiheit in Leibniz‘ Vorstellung der prästabilierten Harmonie, denn jede Monade handelt spontan, ohne einem fremden Zwang zu unterliegen. Deshalb ist sie frei. Wenn sie dennoch den Gesetzen entsprechend agiert, dann deshalb,
„Weil jede Monade alles ist, und alles jede Monade. Damit verschwindet der Gegensatz zwischen dem einen und dem anderen.“ (Johannes Hirschberger)
Der menschliche Geist (die Seele) ist für Leibniz eine Monade, in der die gesamte Vernunft des Universums enthalten ist. Mit dieser Quelle ist jeder einzelne Mensch verbunden. Wenn es ihm gelingt, diese zu nutzen, handelt er aus Einsicht in das jeweils Vernünftige. Auf diese Weise versucht Leibniz die Willensfreiheit mit dem Determinismus zu versöhnen.
So gesehen, ist das Gewissen Ausdruck einer Gebundenheit, die uns eine Wahl lässt.
Literatur
Buckingham, Will: Das Philosophie-Buch, Verlag Dorling Kindersley, London 2011.
Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie. Band 2, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1980.
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Monadologie und andere metaphysische Schriften, Verlag Meiner, 2014.
Schöndorf, Harald u. Coreth, Emerich: Philosophie des 17. Und 18. Jahrhunderts, 4. Auflage, Verlag Kohlhammer, Stuttgart 2008.
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