Träumen Sie auch davon, etwas Sinnvolles zu schaffen, das die eigene Lebenszeit überdauert? Einen Besteller schreiben… das wär’s. Leider ist unserem Philosophen, dem Schwarzen Peter, nichts dergleichen gelungen. Deshalb arbeitet er zur Aufbesserung seiner Finanzen zwei Tage die Woche in einem Fahrradgeschäft. Zum Trost darf er die Bücher erfolgreicher Autoren rezensieren. Heute widmet er sich Christian Uhles Werk „Wozu das alles? Vor allem der Untertitel „Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens“ hat es ihm angetan.
Wozu das alles? Gute Frage.
Das Buch bringt 590 Gramm auf die Waage, umfasst 494 Seiten und kostet 26 Euro — gewandet in einen stilvollen Einband. Ein stattlicher Wälzer, denkt sich unser Philosoph. Aber zwischen den Buchdeckeln geht es um nicht weniger als die seit Jahrtausenden virulente Frage nach dem Sinn des Lebens. Und zwar in doppelter Hinsicht: Welchen Sinn hat mein Leben? und Welchen Sinn hat Leben im Allgemeinen? Er denkt an Gottfried Wilhelm Leibniz’ (1646-1746) berühmtes Zitat:
„Warum gibt es überhaupt etwas, und nicht nichts?“
Um diese Fragen kreisen die Gedanken unseres Philosophen seit Jugendzeiten. Deshalb hat er Philosophie studiert — verbunden mit der eschatologischen Hoffnung, die Schwere des Lebens abschütteln zu können. Vielleicht gelingt es ihm mit Hilfe des vorliegenden Buches.
Die Mutter aller Fragen
Christian Uhles Reise startet forsch mit der größtmöglichen Fragestellung „Warum bin ich hier?“. Der Schwarze Peter stellt sie sich in Krisensituationen oder Phasen der Desorientierung. Sie verweist auf seine Sehnsucht, sinnvoll in eine kosmische Ordnung, in ein sinnvolles größeres Ganzes eingebettet zu sein. Der Dichter und Philosoph Novalis (1772-1801) hatte für diesen Zustand den wohlklingenden Begriff der Metaphysischen Obdachlosigkeit.
„Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?“ (Goethe). Der Bedeutungsverlust kirchlicher Institutionen hat den Menschen von zahlreichen Zwängen befreit. Die Sinnsuche ist damit nicht leichter geworden. Im Gegenteil: Welchen Sinn, fragt Uhle, hat das Leben, wenn kein Gott über uns wacht? Wenn ohne die Verheißung auf etwas Jenseitiges der Tod das Ende unserer Reise ist.
„Aus ihm [dem Tod, Anm. d. Verf.] ist kein Sinn zu ziehen, zumindest nicht ohne Glauben an ein Jenseits.“(Christian Uhle)
In einem wissenschaftlichen Weltbild werden die Dinge nüchterner betrachtet. Sie sind wie sie sind. Alles ist ein Resultat naturgesetzlicher Abläufe. Die Realität nimmt keinen Anteil am Schicksal der Menschheit. Es gibt keinen tieferen Sinn. Für manche ist das ein tröstlicher Gedanke. Andere hingegen geraten dadurch an ihre emotionale Kippkante.
„So leiden wir doppelt: an dem, was uns widerfährt, und daran, dass das alles nichts zählt.“ (Christian Uhle)
Kann Christian Uhle uns vor dem Sturz ins Bodenlose bewahren?
Was uns in die Tiefe zieht
Uhle identifiziert vier Auslöser für existentielle Zweifel und Sinnkrisen:
Der Schwarze Peter kennt diese zermürbenden Zustände. Abwechselnd oder — wenn es schlimm kommt — gleichzeitig. Aber wenn die Nacht am dunkelsten, ist die Morgendämmerung am nächsten. Diese alte (empirisch belegte) Erkenntnis und die fortschreitende Lektüre von „Wozu das alles?“ führen bei unserem Philosophen zu einer Stimmungsaufhellung… zu einem emotionalen Sonnenaufgang.
Die Gründe, warum Menschen stets aufs Neue in Sinnkrisen geraten, liegen nach etwa 200 Seiten auf dem Tisch. Was noch fehlt, sind alltagstaugliche und umsetzbare Tipps für die Suche nach Sinn im Leben.
Ja, wo isser denn, der Sinn?
Gute Frage, denkt der Schwarze Peter und blickt, ein Glas Rosé in der Hand, mit verschwommenen Augen der zweiten Hälfte des Buches entgegen. Ein Absatz reißt ihn aus seinem weinseligen Zustand:
„Sinn ist weder persönliche Ansichtssache noch abstrakt und unpersönlich. Sinn ist weder in unserem Selbst zu finden noch da draußen - sondern im Dazwischen.“ (Christian Uhle)
Im Dazwischen… was mag das heißen? Sinn, so Uhle, gibt es nur durch Zusammenhänge. Der Sinn eines Hammers besteht in seiner Beziehung zum Nagel und zum daran aufgehängten Bild. Wenn Uhle recht hat, geht es immer um Verknüpfungen, denn nichts hat für sich genommen einen Sinn, sondern nur in der Beziehung zu etwas anderem.
„Nach dem Sinn von etwas zu fragen heißt, wissen zu wollen, wie es mit anderen Dingen verknüpft ist.“ (Robert Nozick)
So plausibel und einfach es im Hinblick auf reine Zweckverhältnisse klingt, nicht jede x-beliebige Beziehung generiert Lebenssinn. Aber Uhles Argument ist originell, denn es rüttelt an der mit Hybris gewürzten Einstellung, nach der die Welt ein Mittel ist und wir Menschen der Endzweck. Tatsächlich verläuft der Pfeil der Mensch-Welt-Beziehung in zwei Richtungen. Die Beziehung ist wechselseitig. Betrachten wir die Welt auf diese Weise, dann
„öffnet sich das Ich seiner Welt und bewegt sich auf sie zu. Das verändert uns, und in dieser inneren Lebendigkeit wird auch Sinn erfahrbar.“ (Christian Uhle)
Wenn Christian Uhle die Frage „Wozu das alles?“ stellt und sie zum Startpunkt von Veränderungen im Leben macht, ist er nah an Martin Heidegger und dessen Sich-vorweg-sein-zum-Tode. Für den knorrigen Philosophen war der Tod ein Ermöglicher, sich aus der Welt des Man zu befreien, das Leben am Schopf zu packen und eine eigentliche Existenz zu führen. Unser Philosoph vermutet, dass Heidegger folgenden Gedanken zustimmen würde.
„Sinn [ist] in vielen Hinsichten eine völlig selbstverständliche Sache, die wir nicht aufwendig entdecken müssen, sondern die uns von Beginn an durchs Leben trägt.“ (Christian Uhle)
Der uns stets umgebende Sinn steckt im Dazwischen, wird aber häufig nicht wahrgenommen. Christian Uhle lenkt unseren Blick deshalb auf alltägliche Zustände, die um ihrer selbst willen erstrebenswert sind: gute Gespräche mit Freunden, ehrliche Dialoge, gemeinsame Erlebnisse, geteilte Freuden und dem Gegenüber zeigen „Du bist mir wichtig“.
„Vielleicht können wir ähnliche Haltungen auch gegenüber anderen Menschen entwickeln. Sie sind nicht weniger wert als die, die wir lieben.“ (Christian Uhle)
Dem kann unser Philosoph, der Schwarze Peter, nur zustimmen. Das Haar in der Suppe, nach dem er so gerne sucht, findet er bei Christian Uhle nicht.
Literatur
Uhle, Christian: Wozu das alles?. Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022.
Eine schöne Rezension, danke dafür!
"Nach dem Sinn von etwas zu fragen heißt, wissen zu wollen, wie es mit anderen Dingen verknüpft ist.“
Dazu ist mir gleich eingefallen, dass die in unseren Gesellschaften dominante Verknüpfung der Konsum ist. Wir sind "Verbraucher" und wenn wir nicht mehr oder auch nur deutlich weniger konsumieren (wie jetzt gerade), droht die Wirtschaft zusammen zu brechen. Man mag einwenden, dass uns unsere Liebsten doch wichtiger sind als das, was wir einkaufen. Das hält allerdings viele "Leistungsträger/innen" nicht davon ab, ganz anderswohin zu ziehen und "alles" hinter sich zu lassen, wenn sich dort die Möglichkeit ergibt, mit mehr Benefits ein funktionierendes Rädchen im Getriebe zu sein.
Diese Art Sinn-Definition ist also sicher nicht alleine Lebenssinn stiftend,