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Kant: Der kategorische Imperativ

Wer bei der Abkürzung KI nicht an künstliche Intelligenz, sondern Kants kategorischen Imperativ denkt, hat ein Faible für Philosophie oder ist jenseits der Fünfzig. Was beide Themen eint: Wenige Menschen haben eine klare Vorstellung, was sich dahinter verbirgt.

 


Wir konzentrieren wir uns in diesem Beitrag auf den kategorischen Imperativ. Der Schwarze Peter hat die Aufgabe, Licht ins philosophische Dunkel bringen. Da sein Studium Jahre zurückliegt, haben wir ihm zur Auffrischung Ralf Ludwigs Buch „Kant für Anfänger - Der kategorische Imperativ“ auf den Tisch gelegt.

 

Es gibt einen Slogan der Firma Intel, der wie die Faust aufs Auge zur künstlichen Intelligenz UND zum kategorischen Imperativ passt:

 

„Erschließen Sie das volle Potenzial von KI“

 

Das ist die Messlatte für den Schwarzen Peter. Schließlich haben wir im letzten Beitrag ein vollmundiges Versprechen gegeben.

 

 

Was soll ich tun?

 

Der Mensch trifft Tag für Tag Entscheidungen, die zu Handlungen führen. Welche ist richtig, welche falsch? Welche Folgen ergeben sich daraus?

 

Wäre es nicht angenehm, über ein Beurteilungskriterium zu verfügen? Tatsächlich gibt es eines. Immanuel Kant hat es uns vor rund 200 Jahren in Form des kategorischen Imperativs geschenkt.

 

Es handelt sich um ein allgemein anwendbares Sittengesetz, das nicht durch die Erfahrung (a posteriori), sondern ausschließlich durch die Vernunft (a priori) begründet ist. Warum? Weil nach Kants Ansicht z. B. das Prinzip der Ehrlichkeit wackelt, wenn ein Kaufmann sein Geschäft seriös betreibt, weil er damit gute Erfahrungen (mehr Stammkundschaft, Umsatzsteigerung etc.) gemacht hat.

 

In diesem Fall wäre seine Ehrlichkeit nicht das Resultat eines selbst auferlegten moralischen Gebotes, sondern lediglich eine für ihn vorteilhafte praktische Regel.

 

 

Der kategorische Imperativ

 

Für Rolf Ludwig (und viele andere) handelt es sich beim kategorischen Imperativ um den

 

„interessantesten ethischen Entwurf, den der menschliche Geist in den letzten beiden Jahrtausenden hervorgebracht hat.“

 

Dem kann der Schwarze Peter uneingeschränkt zustimmen. Worum geht es? Grob gesagt, um ein oberstes Vernunftprinzip, das dem Menschen – unabhängig von seiner Natur – als allgemeiner Handlungsleitfaden dienen soll.

 

Als Imperativ ist der KI kein Wollen, sondern ein Sollen (kategorisch). Er fordert uns auf, in einer bestimmten Weise zu handeln. Otfried Höffe schreibt, dass der kategorische Imperativ in seiner kürzesten Form wie folgt heißen könnte: „Handle sittlich!“. Man kann anfügen „Gebe dich nicht Deinen Neigungen hin“.

 

In Kants erster Fassung des KI (je nach Lesart gibt es deren drei bis fünf) schreibt er:

 

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

 

Unser Philosoph ahnt, was kommt: Das steht so ähnlich in der Bergpredigt von Jesus… und der hat definitiv vor Kant gelebt:

 

„Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ (Matt. 7, 12)

 

Das ist das Gleiche wie der kategorische Imperativ. Nein, ist es nicht. Wir werden sehen warum.



Ein Dickicht an Begriffen



Kant konfrontiert den Leser mit einer respektablen Anzahl an Begriffen, deren Bedeutung sich nicht ohne Weiteres erschließt. Um den KI zu verstehen, müssen wir das Dickicht lichten. Los geht es mit dem Fundament von Kants Ethik. 

 

 

Der gute Wille

 

Was zählt, ist der gute Wille, nicht das Resultat einer Handlung. Kant verschiebt damit den Fokus von den Folgen einer Handlung hin zur treibenden Kraft.

 

„Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt, oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines [sic] vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich, gut […].“

 

Dieser Perspektivenwechsel ist spektakulär.

 

„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“

 

Wann ist ein Wille gut? Um diese Frage zu beantworten, muss sich der Schwarze Peter einem Begriffspaar zuwenden, das laut Ralf Ludwig aufs schärfste unterschieden werden muss. Für Kant kann eine Handlung auf zweierlei Weise erfolgen:

 

1) pflichtmäßig/pflichtgemäß

 

2) aus Pflicht.

 

 

Die pflichtmäßige Handlung

 

Bleiben wir beim ehrbaren Kaufmann und dessen Geschäftspraxis, Kunden nicht – wie der Schwarze Peter sagen würde – über den Tisch zu ziehen. Wenn es nach Kant geht, muss das Motiv für Ehrlichkeit in der Vernunft, nicht in den erhofften Ergebnissen liegen. Ist die Ehrlichkeit einem Vorteilsdenken oder der Furcht vor Strafe geschuldet, hat die Handlung keinen moralischen Wert. Sie ist pflichtmäßig. Sie verdient

 

„Lob und Anerkennung, aber nicht Hochschätzung [..], denn der Maxime fehlt der sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu tun.“

 

Mag eine pflichtmäßige Handlung im Einzelfall gute Ergebnisse zeitigen, zu einer moralisch „hochwertigen“ wird sie nicht.

 

 

 

Die Handlung aus Pflicht und die Maxime

 

Eine Handlung kann laut Kant moralisch nur so gut sein, wie die Maxime, auf der sie beruht.

 

„Eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird […].“

 

Die Maxime muss ein Prinzip des Willens sein, dem der vernünftige Mensch aus Freiheit ohne äußeren Zwang folgt.

 

„Maxime ist eine beabsichtigte Handlungsweise mit dem Anspruch, über die singuläre Verwirklichung hinauszugehen.“ (Ralf Ludwig)

 

Neben dem guten Willen, der Handlung aus Pflicht, der Maximen-Setzung aus Freiheit sowie deren Verallgemeinerbarkeit muss für den KI eine weitere Voraussetzung erfüllt sein:

 

 

Die Achtung für das Gesetz

 

Kant denkt nicht an ein bürgerliches Gesetzbuch oder die zehn Gebote. Was er im Sinn hat, ist ein von Neigungen und Befindlichkeiten unabhängiges, notwendig geltendes inneres Gesetz (Sittengesetz/praktisches Gesetz/moralisches Gesetz).

 

„Das praktische Gesetz ist die Gesetzmäßigkeit, die herrschen würde, wenn bei allen vernünftigen Wesen die Vernunft die volle Gewalt über unseren Willen hätte, und nicht unsere Neigungen.“

 

Handlungen aus Neigung (z. B. aus Mitleid oder aus Gewinnsucht) hält Kant bestenfalls für moralisch neutral. Warum? Weil Sie aufgrund eines egoistischen Wollens, nicht eines vernünftigen Sollens aus Freiheit (wie beim KI) erfolgen.

 

Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, der Schwarze Peter hängt seinen Job als Autor an den Nagel, um bei einer Hilfsorganisation anzuheuern. Schwächeren zu helfen gibt ihm ein gutes Gefühl (z. B. Anerkennung). Vielleicht wird er dieser Arbeit dauerhaft nachgehen, um dieses Gefühl zu „konservieren“. Sein Handeln ist von einem selbstreferenziellen Wollen bestimmt. Deshalb hat es laut Kant keinen sittlichen Wert.

 

 

Ein logischer Widerspruch

 

Der Mensch kann bei Einzelfall-Entscheidungen entgegen dem kategorischen Imperativ handeln. Er kann aber aus logischen Gesichtspunkten nicht wollen, dass alle Menschen dauerhaft Entscheidungen treffen, die dem KI zuwiderlaufen.

 

Der Kaufmann könnte beispielsweise folgende Maxime formulieren: Wenn das Geld knapp wird, manipuliere ich meine Waage, um den Kunden mehr zu berechnen. Durch den Wegfall der Geldsorgen würde sich mein Lebensgefühl (zunächst) verbessern.

 

Diese Maxime ist nicht verallgemeinerungsfähig. Nehmen wir an, es gäbe ein Gesetz, das solche Manipulationen erlaubt. Ein vernunftbegabter Händler kann ein solches Gesetz nicht wollen. Warum? Weil er dann wollen muss, von anderen Händlern auf ähnliche Weise übervorteilt zu werden. Dieser Wunsch ist mit der Vernunft nicht in Einklang zu bringen.

 

 

Die Aktualität des KI

 

Die Gretchenfrage bei einer Handlung lautet: Möchte ich, dass alle anderen ebenso handeln? Nur wenn die Antwort uneingeschränkt Ja lautet, ist die Handlung moralisch.

 

Ein Anwendungsbeispiel für den kategorischen Imperativ:

 

Nach einem Picknick am See bin ich zu bequem, den Müll mitzunehmen. Kann ich wollen, dass jeder seinen Müll liegen lässt? Nein, denn nach dieser Maxime wäre der Strand binnen kürzester Zeit vermüllt. Niemand würde sich dort mehr wohl fühlen.  

 

Darüber hinaus dient der KI als Beurteilungskriterium, wenn es um die eigene moralische Verfasstheit geht.

 

Ein aktuelles Beispiel: Die schwer erträgliche Saturiert- und Selbstverliebtheit des kulturellen Establishments. Berauscht von der eigenen Haltung und dem Gratismut (Enzensberger) halten Politiker, Funktionäre und Mainstream-Künstler auf der Leipziger Buchmesse bunte Pappschilder mit der Aufschrift "Demokratie wählen. Jetzt." gleichzeitig auf Kommando in die Höhe. Damit hat auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eine "klare Botschaft" gesendet. Wenn das kein Heldentum ist, was dann? fragt sich der Schwarze Peter.

 

Ob diese Handlung vor Kant bestehen würde ist fraglich: Durch deren wohlige Selbstbezüglichkeit handelt es sich mehr um ein eitles, egoistisches Wollen als ein moralisches Sollen. Die Teilnehmer müssten sich die Frage stellen, aufgrund welcher Motive sie sich zu diesem peinlichen Spektakel haben hinreißen lassen. Der Schwarze Peter vermutet, das sich Kant im Grabe umdrehen würde. Der Nutzen dieser fragwürdigen Aktion ist nämlich dürftig, der moralischen Wert quasi Null.

 


Fazit

 

Ohne Zweifel hat Immanuel Kant seiner (und unserer) Zeit eine neue Perspektive auf das Thema Moralität eröffnet.

 

„Er hat ein Prinzip von Moralität aufgestellt, das losgelöst von jedem Eigennutzdenken, gültig für alle Menschen und unabhängig von jeder Situation, den Anspruch auf Gültigkeit zu allen Zeiten zu erheben versucht.“ (Ralf Ludwig)

 




 

 

Literatur

Höffe, Otfried: Immanuel Kant, 7. Auflage, Verlag C.H. Beck, München 2007.

Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, Verlag Felix Meiner, Hamburg 1998.

Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Verlag Felix Meiner, Hamburg 2016.

Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Verlag Felix Meiner, Hamburg 2006.

Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, Verlag Felix Meiner, Hamburg 2003.

Ludwig, Ralf: Kant für Anfänger. Der kategorische Imperativ, 14. Auflage, dtv, München 2012.

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