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Verschwende Dein Potenzial

Werde, der du bist! Etwas verständlicher formuliert: Bringe zum Vorschein, was in dir steckt. Nutze deine Gaben und Talente. Versuche, die bestmögliche Version deiner selbst zu werden. Mache dich auf den Weg. Irgendwas Besonders kann schließlich jeder… niemand kommt ohne eine Gabe auf die Welt.


Sei froh und dankbar


Gabe ist ein phonetisch schönes Wort, seine Bedeutungsfülle für philosophisch Interessierte eine Fundgrube.

 

Bei einer Gabe handelt es sich um „etwas, was jemandem als Geschenk, als Aufmerksamkeit überreicht, zuteilwird“. (Oxford Languages)

 

Wenn man von einer Begabung spricht, übersieht man leicht das darin enthaltene Wort „Gabe“. Bei einer Begabung handelt es sich um ein Talent, in seltenen Fällen um eine Genialität. Ohne eigenes Zutun wird sie einem in die Wiege gelegt. Sie sollte mit Wertschätzung bedacht werden. Wenn es nach Friedrich Nietzsche geht, ergibt sich daraus die Verpflichtung, sie zu kultivieren und zur Blüte zu bringen.

 

 

Alle sind gleich… schwach


In den Medien ist im Zusammenhang mit der Generation Z despektierlich von Low Performern die Rede. Im Gegensatz zu den älteren Overachievern meiden sie (angeblich) den beruflichen Wettbewerb und haben wenig Ambitionen, das eigene Potenzial auszuschöpfen. Aber: Laut Florian Becker, einem Münchner Wirtschaftspsychologen, sind Menschen der Generation Z nicht einfach faul.

 

„Viele sind nur nie so richtig gefordert worden, sei es im Kindergarten, sei es in der Schule, sei es von den Eltern. Eine ehrliche Rückmeldung zu ihren Leistungen haben sie selten bekommen.“ (Florian Becker)

 

Während die Eltern die eigene Brut um jeden Preis wettbewerbstauglich machen, entwickelt sich die Gesellschaft in eine andere Richtung.

 

Auf diesem neuen Pfad werden die Herausforderungen so lange gesenkt, bis sich auch der Schwächste nicht abgehängt fühlt. Deshalb finden die Bundesjugendspiele mittlerweile ohne Wettkämpfe statt. Hinzu kommt die immer drängendere Forderung, Schulnoten abzuschaffen. Leistungsschwache Kinder könnten sich durch schlechte Bewertungen demotiviert oder beschämt fühlen (Florian Becker). Es ist von Traumata die Rede.


Deshalb soll es weder Gewinner noch Verlierer geben... in diesem Garten sind alle Grashalme gleich lang. Statt Spitzenleistungen zu fördern, zählt nur noch, dass eine Aufgabe erledigt wird. Oder, etwas positiver ausgedrückt:

 

„Everyone’s a Winner!“ (Hot Chocolate)

 

Das kann man gut finden. Ungesund wird es, wenn durch die Absenkung jeglicher Standards die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit abnimmt. Wenn junge Menschen, um es klar zu sagen, hilfloser, weinerlicher und dümmer werden.

 

„Wenn in München ein Spielplatz erneuert wird, werden die Geräte immer niedriger, anspruchsloser, langweiliger. Schulen geben immer bessere Noten für immer schlechtere Leistungen.“ (Florian Becker)

 

Wen kümmert‘s, wenn sich alle Beteiligten wohl fühlen? Laut Florian Becker führt diese Entwicklung bei vielen (vor allem jüngeren) Menschen zu einer permanenten Unterforderung. Das ist nicht nur ein Problem für das Individuum. Mit zeitlicher Verzögerung wird daraus ein gesellschaftliches. Warum? Weil herausragende Eigenschaften und/oder Leistungen nicht gewürdigt und gefördert, sondern misstrauisch und eifersüchtig beäugt werden. Dabei sind hochentwickelte Wissensgesellschaften auf Persönlichkeiten angewiesen, die bereit sind, „über sich hinauszuwachsen“, sich über das Mittelmaß zu erheben. Hinzu kommt:

 

„Herabgesetzte Standards verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche zu der Person entwickeln, die sie ihren Anlagen gemäß werden könnten.“ (Becker)

 

Mag ein Säugling hilflos sein, die Möglichkeit zu Größerem ist in ihm angelegt. Über den normalen Entwicklungsprozess (Laufen und Sprechen lernen) hinausgehend, verfügt er im Keim über individuelle oder einmalige Fähigkeiten.

 


Mach was draus


Ein Talent zu haben ist ein Privileg. Wer es versäumt, dieses zur Entfaltung zu bringen, handelt gegen seine Naturanlagen.

 

„Jeder hat ein angeborenes Talent, aber nur wenigen ist der Grad von Zähigkeit, Ausdauer, Energie angeboren und anerzogen, so dass er wirklich ein Talent wird, also wird, was er ist, das heißt: es in Werken und Handlungen entladet.“ (Friedrich Nietzsche)

 

Womit wir erneut bei der Generation Z sind. In einem leistungsorientierten Wirtschaftssystem müssen sich erstmals junge Menschen bewähren, die gelernt haben, dass herausragende Leistungen nichts Positives sind (Rüdiger Maas). Die derzeitige Wirtschaftslage gestattet es, Arbeitsplätze ohne negative Folgen zu wechseln oder Ausbildungen abzubrechen. Die Nachfrage nach Bewerbern ist derart groß, dass Low Performer immer auf die Füße fallen.

 

„Wir haben die junge Generation bequem erzogen. Jetzt fordert die diese Bequemlichkeit logischerweise auch in der Arbeitswelt ein.“ (Rüdiger Maas)

 

Manche Arbeitgeber bieten Bewerbern 50 Euro, wenn sie überhaupt zum Bewerbungsgespräch erscheinen (Maas). Derart umworben, ist es kein Wunder, dass sich viele junge Menschen in der für sie bequemsten aller Welten einrichten.



Er bemühte sich… nicht


Die intrinsische Motivation, der Antrieb aus freien Stücken, Höchstleistungen zu erbringen, wird zu einer exotischen Eigenschaft. Es ist vertretbar, wenn einige ihr Potenzial vernachlässigen. Als Massenphänomen wird es die Gesellschaft blockieren. Sie kann sich nicht zu der Gemeinschaft entwickeln, die sie – die Summe der Anlagen der einzelnen Mitglieder gemäß – sein könnte.



 

Deshalb sieht Nietzsche beim Einzelnen eine Verantwortung, die über die eigenen Bedürfnisse hinausgeht:

 

„Was sagt dein Gewissen? – ‚Du sollst der werden, der du bist.‘“

 

Die Antwort fällt ernüchternd aus. Der Gewissens-Appell verhallt unerwidert.

 

 

Werde, der du bist


Friedrich Nietzsche offenbart seine humanistische Prägung und ein überraschend positives Menschenbild. Er sieht im Individuum mehr als ein austauschbares Rädchen. So verstanden, ist sein Diktum „Werde, der du bist!“ der Ausgangspunkt für einen Individuations- und Differenzierungsprozess, der die Besonderheit und Einzigartigkeit eines jeden Menschen würdigt.

 

In diesem Zusammenhang erscheint Nietzsches missverständlich (oft missbräuchlich) interpretierter „Wille zur Macht“, der im „Übermenschen“ seine Konkretisierung findet, in einem besseren Licht. Es geht ihm nicht darum, die Herrschaft über andere zu erlangen oder eine überlegene Rasse zu kreieren. Im Gegenteil: Der „Wille zur Macht“ ist eine Antriebskraft, sich über alle Hürden hinweg zu dem zu entwickeln, der man seinen Anlagen gemäß ist. So gesehen, ist der „Wille zur Macht“ der Wille zur Selbstüberwindung.

 

„Der Übermensch ist jemand, der über sich hinauswächst, der die Anlagen, die in ihm vorhanden sind, verwirklicht.“ (Benjamin Mortzfeld)

 

Für ihn ist der Übermensch der selbstverwirklichte Mensch. Was Nietzsche nicht meinte: sich jeder Laune, jedem Affekt hinzugeben und jeglicher Kontinuität zu verweigern.

 

„Es geht Nietzsche um die kreativen und geistigen Potenziale. Um diese zu befreien, muss man sich selbst und äussere [sic!] Zwänge überwinden.

 

Stets den vermeintlich leichtesten Weg zu gehen ist nicht in Nietzsches Sinn. Genauso wenig hält er davon, sich von Konventionen bei der Selbst-Entfaltung (auch ein schönes Wort) unmäßig behindern zu lassen.



Mach was aus Dir!


Es ist wohlfeil, das Problem mangelnder Selbstentfaltung ausschließlich mit der Generation Z zu verknüpfen. Aber durch sie ist das Thema Low Performer zu einem medialen Dauerbrenner geworden.

 

Für den Generationsforscher Rüdiger Maas ist der Blick in die Zukunft alles andere als vielversprechend. Wie wie sich heute viele Arbeitgeber schwertun, auf die Generation Z zu reagieren, werden unter geänderten Vorzeichen die Arbeitnehmer der Gen Z Probleme haben, sich Veränderungen anzupassen.

 

„Unter geänderten Marktbedingungen werden sie – neudeutsch gesagt – ziemlich ‚lost‘ sein.“

 

Dann, so Maas, kann es einen langen Stillstand geben. Um den zu verhindern, muss die Philosophie wenigstens einen kleinen Beitrag leisten, indem sie darauf hinweist, dass es weder für das gelungene Leben des Einzelnen (eudaimonia) noch für das Funktionieren der Gesellschaft dienlich ist, „gottgegebene“ Gaben aus Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit zu vernachlässigen.

 

 

 

 

 

Literatur

Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches, KSA 2, de Gruyter, München 1999.

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra, KSA 4, de Gruyter, München 1999.

 

Becker, Florian: Gefährliche Krabben-Mentalität: Wie wir Schüler bewerten sollten, in: https://www.focus.de/familie/schulnoten-abschaffen-nein-wir-brauchen-viel-mehr-davon_id_259844170.html (abgerufen am 15.04.2024).

Sand, Dennis u. Maas, Rüdiger: Ein Blick in die Zukunft der Gen Z ist alles andere als vielversprechend, in: Welt online: https://www.welt.de/wirtschaft/plus251012178/GenZ-Die-Kinder-sind-heute-diejenigen-die-entscheiden-wo-es-lang-geht.html?ticket=ST-A-309408-7Cuk7f3eDxe4FD1WOjcE-sso-signin-server (abgerufen am 15.04.2024).

 

 

 

 


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