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Marcus Aurelius – 12 Zitate zum Jahresbeginn

Aktualisiert: 15. Jan. 2022

„Selbstbetrachtungen“ – welch eleganter Titel für ein philosophisch-literarisches Werk von Weltrang. Das gilt allerdings nur für einige deutsche Übersetzungen dieses Spätwerks von Marcus Aurelius (121-180 n. Chr.). Andere Übersetzer haben den längeren griechischen Originaltitel als „Wege zu sich selbst“ oder „Unterhaltungen mit sich selbst“ ausgelegt.


Ungeachtet der Titelvariationen zeugen Marc Aurels Selbstbetrachtungen von einer außergewöhnlichen Weite des Denkens. Wenngleich es, die Tiefe betreffend, nicht an die des Stoikers Seneca (ca. 1 bis 65 n. Chr.) heranreicht.


Die Voraussetzung für eine Selbstbetrachtung ist der Wille zur Selbstreflexion. Im nächsten Schritt geht es darum, gedanklich in eine Distanz zu sich selbst zu kommen und eine externe Beobachterposition einzunehmen. Dadurch wird man zum Untersuchungsgegenstand seiner selbst. Es kommen Einstellungen, Denkmuster und Verhaltensweisen auf den Prüfstand. Im Idealfall wird jede Facette der eigenen Persönlichkeit ausgeleuchtet. Anders ausgedrückt: Es geht um das Bestreben, sich im Hinblick auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit beständig kritisch zu hinterfragen.


Marc Aurels Gedanken sind zeitlos – zumindest teilweise. Sein Prinzip der vorbehaltlosen Infragestellung eigener Positionen ist notwendig in einer Zeit, in der Krisen kontinuierlich für gesellschaftliche Spaltungen sorgen. Der nach Weisheit Strebende im Sinne Marc Aurels verzichtet darauf, die eigene Haltung absolut zu setzen – unabhängig davon, wie gesichert die Fakten erscheinen. Der Weise ist skeptisch. Eine Lebenseinstellung, die in Pandemiezeiten in Verruf geraten ist. Tatsächlich bedeutet Skeptizismus, einen Sachverhalt durch den Gebrauch der Vernunft aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, um zu einem möglichst gut begründeten Urteil zu kommen.


Die Selbstbetrachtungen bestehen aus losen Gedanken ohne dramaturgischen Aufbau. Die einzelnen Kapitel (Bücher) bauen nicht aufeinander auf und wirken aufgrund zahlreicher thematischer Wiederholungen unzusammenhängend und unabgeschlossen. Stattdessen erfolgt die Wiederkehr des immer Gleichen. Das hat den Vorteil, dass man an jeder beliebigen Stelle des Büchleins mit dem Lesen beginnen kann.

Allerdings hat Marc Aurel nicht druckreif „an und für ein Publikum geschrieben“ (Gernot Krapinger). Er hat sie vielmehr als schriftliche geistige Übung oder therapeutisches Selbstgespräch im Sinne der stoischen Tradition angelegt. In den Selbstbetrachtungen kommt Marc Aurels Streben nach dem antiken Ideal zum Ausdruck. Es geht ihm um vernunftgeleitetes Handeln, Bescheidenheit, Selbstdisziplin und Gerechtigkeit. In ihrer Einheit führen diese Eigenschaften zur unerschütterlichen Seelenruhe (ataraxia).


Laut Krapinger vergewisserte sich Marc Aurel stets neu seiner Stellung in der Welt und versuchte durch die Kraft seiner Gedanken Verhaltensmuster zu durchbrechen. Auf diese Weise schuf er zeitlose Maximen für ein achtsames Leben. Ihnen hat er sich auch als römischer Kaiser verpflichtet gefühlt. Die resignative und melancholische Tonalität der Selbstbetrachtungen wird durch den Appell, dem Leben mit Heiterkeit und Gelassenheit zu begegnen, gemildert.


Marc Aurel kam 121 n. Chr. als Marcus Annius Verus in Rom zur Welt. Von 161 bis zu seinem Tod 180 n. Chr. (in Vindobona, Österreich oder in Bononia, Serbien) war er römischer Kaiser und zugleich der letzte bedeutende Vertreter der jüngeren Stoa. Das letzte Lebensjahrzehnt verbrachte er überwiegend in militärischen Feldlagern, in denen auch die Selbstbetrachtungen entstanden sind. Sein Weg bis zur Thronbesteigung war wechselhaft und von vielen Zufällen bestimmt. Eine ausführliche Beschreibung seines Lebensweges würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Interessierte Leser werden bei Gernot Krapingers empfehlenswerten Nachwort fündig.



12 Zitate Marc Aurels in loser thematischer Reihenfolge


„Alles ist von kurzer Dauer, sowohl, was sich erinnert, als auch, woran es sich erinnert.“ (IV, 35)

„Wie deutlich drängt sich mir auf, dass keine andere Lebensform für das Philosophieren so passend ist wie die, in der du dich zur Zeit befindest.“ (II, 7)

„Niemand ist vom Glück so begünstigt, dass nicht einige bei seinem Sterbebett stehen und das [traurige] Ereignis begrüßen werden.“ (X, 36)

„Kurz ist die Zeit, die noch verbleibt. Lebe, als würdest du dich auf einer Reise befinden. Denn es macht nichts aus, ob dort oder hier, wenn man überall im Kosmos wie in seiner Vaterstadt lebt.“ (X, 15)

„Den Fehler eines anderen muss man dort lassen, wo er ist.“ (IX, 20)

„Für den Stein, der in die Höhe geworfen wird, ist es weder schlimm, herunterzufallen, noch gut, emporgeworfen zu werden.“ (IX, 17)

„Denk daran, dass es gleichermaßen Freiheit bedeutet, seine Meinung zu ändern, wie dem zu folgen, der uns eines Besseren belehrt.“ (VIII, 16)

„Die Reue ist eine Art Vorwurf gegen sich selbst, dass man etwas Nützliches versäumt hat.“ (VIII, 10)

„Halte niemals etwas für nützlich für dich, was dich einmal zwingen könnte, die Treue zu brechen.“ (III, 7)

„Die Natur hat dich nicht so mit dem Ganzen vermischt, dass sie einem nicht gestatte, sich abzugrenzen und seine Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.“ (VII, 67)

„Dem Menschen ist es eigen, auch die Irrenden zu lieben.“ (VI, 22)

„Es ist eine Schande, wenn in einem Leben, in dem der Körper nicht versagt, die Seele schon vorher versagt.“ (VI, 29)




Literatur

Marc Aurel: Selbstbetrachtungen, Reclam Verlag, Hrsg. Gernot Krapinger, Ditzingen 2019.

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