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Panta rhei - Wir sind und sind nicht

Es ist bitter, wenn die Formulierung, für die man in der Nachwelt berühmt ist, von jemand anderem stammt. Genau das ist Heraklit (ca. 520-460 v. Chr.) postum passiert. Wovon ist die Rede? Von dem vielfach zitierten panta rhei. Alles ist im Fluss, alles verändert sich ständig.


Noch bitterer (zumindest für die Nachwelt) ist, dass Heraklit keinen zusammenhängenden Text hinterlassen hat. Lediglich 126 Zitate, deren Authentizität zum Teil strittig ist, finden sich als Verweise in Werken späterer Denker (z. B. bei Klemens von Alexandrien oder Hippolyt von Rom). Zudem sind Heraklits Lebensumstände größtenteils unbekannt. Wir wissen, dass er als Spross einer Aristokratenfamilie aus Ephesus ein privilegiertes Leben führte. Gesichert ist zudem, dass er weder Teil einer philosophischen Schule war noch eine gegründet hat.


Umso mehr erstaunt Heraklits bis heute anhaltende Popularität. Zumal seine philosophische Hinterlassenschaft auf ein eher düsteres, menschenkritisches und dünkelhaftes Gemüt hindeutet (Friedo Ricken). Diesen Facetten seiner Persönlichkeit verdankt Heraklit den Beinamen „Der Dunkle“.



Ein überschaubares Erbe


Heraklit Nachlass mag quantitativ winzig sein, aber die Fragmente, so sie von ihm stammen, sind von zeitloser Aktualität, sprachlicher Dichte und Prägnanz. Unklar ist laut Friedo Ricken, ob es sich bei diesen „Sprüchen um Aphorismen handelt, deren Abfolge ohne Bedeutung ist, oder ob sie von Heraklit ursprünglich zu einem Ganzen komponiert waren, dessen Anordnung aufgrund der Überlieferung nicht mehr zu erkennen ist“. Verglichen mit den Werken anderer antiker Denker ist Heraklit ein philosophisches One-Hit-Wonder. Allerdings wecken seine Worte eine Vielzahl von Assoziationen und Bildern mit einer neuzeitlichen Entsprechung. So lässt das folgende, gut gealterte, Fragment kaum erahnen, dass es vor etwa 2500 Jahren entstanden ist.


„Volkssängern glauben sie und zum Lehrer haben sie die Menge und wissen nicht, dass ‚die Vielen schlecht, wenige aber gut‘ sind.“

Neben der Verachtung der breiten Masse, zeigt sich eine Beschäftigung mit der Frage nach dem Guten, die später mit Sokrates, Platon und Aristoteles in den Mittelpunkt gerückt ist. Heraklit interessierte sich – mit beiden Beinen in der vorsokratischen Tradition stehend – nur am Rande für das gelungene Leben (eudaimonia).



Die Harmonie des Kosmos


Am Anfang war das Staunen. Die Schönheit der Natur und die Vielfalt der Erscheinungen haben Heraklit und andere Vorsokratiker inspiriert, nach dem Ursächlichen zu suchen. Dabei ging es nicht nur um die Frage nach dem Urgrund (archḗ) aller weltlichen Erscheinungen, sondern des gesamten, Welt und Götter umfassenden, Kosmos (Schmidt). Ihre Grundannahme:


„Harmonisch ist der Kosmos, oder besser ausgedrückt, man soll durch Forschung bestätigen, dass der Kosmos harmonisch ist.“ (Ernst Howald)

Im Unterschied zu der religiösen Ausrichtung der Altvorderen bemühten sich die Vorsokratiker um eine vernünftige, vom Glauben unabhängige, Welterklärung. Sie sollte allen Menschen gleichermaßen verständlich und zugänglich sein. Es ging um


„Die philosophische Frage nach der Einheit in der Vielfalt der Erscheinungen und nach dem, Einheit stiftenden, allgemeinen Ursprung.“ (Josef Schmidt)

Allerdings herrschte unter den Vorsokratikern betreffend den Urgrund Uneinigkeit:


Der Blick auf das Schaubild zeigt, dass die Vorsokratiker nach heutigem Verständnis eher Naturforscher als Philosophen waren.



Vernunft und Religion


Josef Schmidt weist darauf hin, dass das philosophische Denken der griechischen Antike aus der Religion hervorging. So hatten die antiken Griechen eine genaue Vorstellung von der Hierarchie und Ordnung ihrer Götter. Ein Beleg dafür sind die zahlreichen antiken Mythen. Diese Götter und Halbgötter waren in ihrer Unzulänglichkeit dem Menschen ähnlicher als unsere heutige monotheistische Vorstellung von einem allgütigen, allwissenden und allmächtigen Gott. Tatsächlich waren die griechischen Götter – mit Zeus als Göttervater an der Spitze – eine zutiefst dysfunktionale Sippe.


An der Spitze der weltlichen Elite sah sich Heraklit. Die Grenze zur Hybris überschreitend, konnte nicht einmal Homer (ca. 850 v. Chr.) vor seinem Richterblick bestehen. Zwar hielt er ihn für „weiser als alle Griechen“, aber dennoch:


„Homer verdient aus den Wettkämpfen hinausgeprügelt zu werden und Archilochos [Dichter, Anm. d. Verf.] ebenso.“ (Heraklit, B 42)

Harsche und widersprüchliche Worte, denn im Fragment B 43 heißt es:


„Vermessenheit ist zu löschen mehr als Feuersbrunst.“

Mag Heraklits Persönlichkeit noch so abstoßend wirken, er hat nachfolgende Philosophen auf einen Epoche prägenden Pfad geführt.



Heraklits Denken


Die anderen Vorsokratiker konzentrierten sich ausschließlich auf den Anfang (Urstoff) und das Ende (Erscheinungen). Heraklit hingegen interessierte sich für das Dazwischenliegende, das Prozesshafte. Für ihn war das Gegensätzliche, z. B. das Werden und Vergehen, philosophisch relevanter.

Im Feuer sah er das Ursächliche, in dem der Keim des Vergehens steckt. Wie für ihn alle Dinge aus dem Feuer entstanden sind, gehen sie unweigerlich auf das alles vereinende Feuer zu und dort zugrunde. Heraklits Philosophie ist somit eine der Bewegung. Sie führt von der Entfaltung hin zur Wiedervereinigung mit dem Urstoff Feuer. In dieser Bewegung des Werdens und Vergehens sah Heraklit ein Stück vom Wesen der Welt (Kranz):


„In die gleichen Ströme steigen wir und steigen wir nicht; wir sind es und sind es nicht.“

Zwar fließt beispielsweise der Nil stets durch Kairo, aber sein Wasser wechselt unaufhörlich.


„Steigen wir hinein in die gleichen Ströme, fließt andres und andres Wasser herzu.“

Ebenso beim Menschen: Dem Namen, der Stimme und dem Aussehen nach ist er der gleiche wie gestern. Aber in dieser Zeit haben sich unzählige Zellen verändert oder erneuert. Deshalb sind wir und sind zugleich nicht.


„In diesem Werden ist sowohl Sein wie Nichtsein enthalten.“ (Kranz)

Heraklits Lehre ist eine vom Rhythmus des Erscheinens und Vergehens; eine Lehre vom ewigen Strom des Lebens, des Ewig-im-Fluss-Sein. In diesem Sinn wird das Wort Rhythmus auch seiner ursprünglichen Bedeutung gerecht (rhythmós: gleichmäßige Bewegung strömen, fließen).


Weder Erde (Hesiod), Wasser (Thales), Luft (Anaximenes) noch das Unbegrenzte (Anaximander) sind Archḗ, sondern das Werden.


„Für Heraklit war Feuer kein besonderer körperlicher Urstoff […], sondern ein Symbol für die ewige Unruhe des Werdens mit seinem ständigen Auf und Ab.“ (Johannes Hirschberger)

Das Feuer ist für Heraklit Ausdruck von Gegensätzlichkeit und Weltvernunft.


„Doch alles Wahrnehmbare ist für Heraklit nur die Hälfte des Ganzen, auch die Bewegung; und im ewigen Fluss der Dinge wird zugleich die Ruhe des Beständigen gefunden.“ (Kranz)

Worte, die an fernöstliche Lebensphilosophien erinnern. Vielleicht erklärt das die ungebrochene Aktualität seines Denkens. Wegen seiner Sprache und Thematik ist Heraklit auch in einer modernen Gesellschaft anschlussfähig.


„Das, was ist, zerstreut sich und tritt zusammen geht heran und geht fort.“

Die Gegensätze sind nach Heraklit fruchtbar, voller Leben und zeugender Kraft. In diesem Sinne sind folgende, aus heutiger Sicht befremdliche, Worte zu verstehen:


„Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König.“

PS: Von wem stammt nun die Formel panta rhei? Auch wenn Heraklits Philosophie den Ausdruck nahelegt, findet sie erstmals bei dem Neuplatoniker Simplikios (ca. 480-560 n. Chr.) schriftliche Erwähnung.




Literatur

Capelle, Wilhelm: Die Vorsokratiker, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1968.

Heraklit: Fragmente, 14. Auflage, Verlag Artemis & Winkler, Zürich 2007.

Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie, Band 1, 12. Auflage, Verlag Herder, Frankfurt am Main 1980.

Howald, Ernst: Die Anfänge der abendländischen Philosophie, Artemis Verlag, Zürich 1949.

Kranz, Walther: Die griechische Philosophie, Verlag Schibli-Doppler, Basel

Ricken, Friedo: Philosophie der Antike, 3. Auflage, Kohlhammer Verlag, Berlin 2000.



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