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Robert Nozick – Glück auf Bestellung

Unser Philosoph wundert sich über die Lebensweise seiner Nachbarn. Selbst bei schönstem Wetter verlassen sie ihre Wohnung nur um einzukaufen. Darüber hinaus gibt die „Dame des Hauses“ den ganzen Tag Geräusche von sich, die an das Meckern einer Ziege erinnern. Es handelt sich um eine bizarre Form von Lachen. Unser Philosoph fragt sich, was der Anlass dafür sein könnte.


Kaum, dass er dieses ordinäre Meckern durch die offene Terrassentür hört, könnte er aus der Haut fahren. Zugleich – an diesem Punkt wird es interessant – mischt sich in seine Verachtung eine Prise Bewunderung und Neid. Frei von Missgunst, fragt er sich, wie man permanent fröhlich sein kann. Vom obligatorischen jährlichen Beziehungsstreit abgesehen, hat er seine Nachbarn nicht ein einziges Mal schlecht gelaunt erlebt.


Nehmen sie irgendwelche Substanzen, die diesen seligen Zustand hervorrufen oder ist es Veranlagung? Eine Erklärung: Im Gegensatz zum Schwarzen Peter machen sie sich (wahrscheinlich) keine zentnerschweren Gedanken über den Zustand der Welt. Er vermutet mittlerweile, dass die beiden ihre Zeit an der Playstation verbringen.


„Was für ein trauriges Leben“ denkt sich unser Philosoph… oder etwa doch nicht? Was, wenn die beiden einfach nur glücklich und mit ihrem überschaubaren Leben zufrieden sind?



Wer entscheidet sich für das Glück?


Der Schwarze Peter erinnert sich an die Philosophie-Vorlesung über Robert Nozicks (1935-2002) Gedankenexperiment einer Glücksmaschine. Sein damaliger Anthropologie-Professor wollte von den rund hundert Anwesenden wissen, wer sich an eine solche Erlebnismaschine – wenn es sie denn gäbe – anschließen lassen würde. Nur zwei Personen haben per Handzeichen spontan Interesse bekundet: der Schwarze Peter und sein ebenfalls schwermütiger Kommilitone Hubert.


Eine erstaunlich schwache Resonanz, wenn man die „Leistungsfähigkeit“ dieser fiktiven Maschine ins Auge fasst: nie wieder Kummer und Sorgen. Stattdessen hedonistische Genussmaximierung und die Garantie, für den Rest des Lebens glücklich zu sein. Wie Perlen auf einer Kette würde sich ein Glücksmoment an den anderen reihen. Ein Zustand, der sich „normalerweise nur in außerordentlichen Lebenssituationen“ (Michael Bordt) einstellt. Eine Verheißung für unseren Philosophen, der sich als formvollendeter Hypochonder stets an der Kippkante der physischen Existenz wähnt.


Warum also die Abneigung seiner Mitstudierenden gegen diese – zugegeben widernatürliche – Form des Glücks? Was ist falsch an der Maxime „Lieber künstlich glücklich als natürlich unglücklich“?



Glück auf Knopfdruck


Die Idee (nicht deren technische Umsetzung) ist simpel: Angeschlossen an Nozicks Erfahrungsmaschine, könnte der Schwarze Peter in eine künstlich erzeugte Welt eintauchen und einen beliebigen Lebensentwurf mit all den damit verbundenen wohligen Gefühlszuständen wählen: z. B. Buschpilot in Australien, Privatier, Golfprofi, erfolgreicher Musiker oder gefeierter Star-Philosoph.


Alles wäre möglich, sogar Bäche aus flüssigem Gold. Diese „Erfahrungen“ würden sich nicht nur echt anfühlen, sie wären auch frei von den negativen Begleiterscheinungen, die jeder reale Lebensentwurf mit sich bringt.


Er könnte auch eine Tasse Kaffee mit Ludwig Wittgenstein trinken… die Maschine würde dafür sorgen, dass selbst dieses Treffen – Wittgenstein war nicht als frohgelaunter Gesprächspartner bekannt – für unseren Philosophen ein Glück spendendes Erlebnis wäre.


„Gerade das macht die Erfahrung ja so hinreißend. In Wirklichkeit aber liegt [man] die ganze Zeit in einem Becken, [das] Gehirn über Elektroden mit der Maschine verbunden.“ (Joel Wille)

Der Unterschied zwischen Realität und Simulation wäre für unseren Philosophen nicht wahrnehmbar. Er müsste, so eine Grundannahme bei Nozicks Gedankenexperiment, sein „altes“ Leben für immer hinter sich lassen.



Bist Du dabei?


Robert Nozick kommt zu dem Schluss, dass die ununterbrochene Versorgung mit Glückszuständen kein erstrebenswertes Lebensziel sein kann, denn:


„Es hat für uns einen höheren Wert, Dinge zu tun, als nur eine Erfahrung zu machen, so als würden wir diese Dinge tun.“ (Robert Nozick)

Michael Bordt ist ebenfalls überzeugt, dass wir eine andere Art von gelebtem Leben wollen als das an einer Maschine. Immerhin: Das Abstimmungsergebnis unter den Studierenden scheint ihm recht zu geben.


„[Es] zeigt, dass unser oberstes Gut nicht darin bestehen kann, permanent diese Art von Glücksgefühlen zu haben.“ (Michael Bordt)

Hinzu kommt, dass das individuelle Glück nicht das alleinige Kriterium sein kann, ob ein Mensch sein Leben als gelungen betrachtet oder nicht. Es geht auch um die Fähigkeit, negative und Leid verursachende Erlebnisse in das Leben integrieren zu können. Sie geben dem Menschen die Möglichkeit, charakterlich zu wachsen und eine stabile Persönlichkeit auszubilden.


„Die Realität hat laut Nozick einen Wert, der über der subjektiven Wahrnehmung steht. Glück ist darin nur ein Bestandteil, das nie immer und selten oft auf der Tagesordnung stehen kann. Nicht zuletzt galt für Nozick und wohl auch für Aristoteles: Ein Leben mit bedeutungsvollem Leid kann wertvoller sein als ein Leben bedeutungsloser Freuden.“ (Jakob Pallinger)

Darüber, denkt sich der Schwarze Peter, könnte man trefflich streiten. Um den Wert einer künstlich erzeugten Erfahrung zu beurteilen, müsste er sie zu jedem Zeitpunkt mit einer realen Erfahrung vergleichen können. Durch die Ausschaltung des Wahrheitsbewusstseins während der „Glücksreise“ würde er den Unterschied zwischen bedeutungsvoll und bedeutungslos jedoch nicht bemerken. Dazu wäre er nur in (nicht vorgesehenen) kurzen Wachphasen in der Lage. Wegen des Fehlens dieses externen Beobachterstandpunktes ist Nozicks Argument nicht überzeugend.


Abschließend ein paar Worte zu der Abstimmung unter seinen Mitstudierenden: Die hält unser Philosoph für nicht repräsentativ. Philosophen, so seine Erfahrung, leisten sich aus einer komfortablen Lebenssituation heraus den Luxus, ihre Gedanken in die Tiefe schweifen zu lassen. Eine Befragung unter Gefängnisinsassen oder Schwerstkranken würde vermutlich ein anderes Ergebnis bringen.


Was ist mit seinen Nachbarn? Sollen sie ihr Glück, oder was es auch immer sein mag, genießen. Auch wenn es dem Schwarzen Peter nicht in die Wiege gelegt ist: Er freut sich mit ihnen für deren Gabe, dem Leben auf derart sonnige Weise zu begegnen... ohne die Hilfe einer Maschine.






Literatur

Bordt, Michael: Philosophische Anthropologie, Vorlesung an der Hochschule für Philosophie, 2012 München.

Nozick, Robert: Anarchie Staat Utopia, 1. Edition, Olzog Verlag, München 2006.

Pallinger, Jakob: Wie eine „Glücksmaschine“ unser Leben verändern würde, in: https://www.derstandard.de/consent/tcf/story/2000123977856/wie-eine-gluecksmaschine-unser-leben-veraendern-wuerde (abgerufen am 23.07.2023).

Wille, Joel: Ein philosophisches Experiment, das dein Gehirn auf Touren bringt, in: Welt-Online vom 27.07.2018, https://www.welt.de/kmpkt/article180000484/Die-Erlebnismaschine-Ein-philosophisches-Experiment-das-dein-Gehirn-auf-Touren-bringt.html (abgerufen am 23.07.2023).


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