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  • AutorenbildDer schwarze Peter

Toki Tamenuri – oder mal was anderes

Aktualisiert: 29. Nov. 2021

Unserem Philosophen steht heute nicht der Sinn nach schweren Themen. Deshalb begibt er sich auf ein Terrain, das scheinbar wenig mit Philosophie zu tun hat – er schreibt eine Produktrezension.

Er hat sich nämlich einen lange gehegten Wunsch erfüllt und einen sündhaft teuren japanischen Füllerfederhalter gekauft. Darauf angesprochen, gesteht er: „I spent a fortune on this pen“. Warum auf Englisch? Weil es harmloser klingt als „Das Ding hat mich mein letztes Hemd gekostet.“


Ist das Schreibgerät den finanziellen Kraftakt wert? Unser Philosoph antwortet mit einem klaren Ja. Warum, das erfahren wir in diesem Beitrag.


Wozu in die Ferne schweifen?


Denken, Lesen, Schreiben – das gehört für den Schwarzen Peter zusammen. Er ist ein Mann des Wortes. Vor allem ist er ein Freund des stilvollen Understatements. Er liebt Dinge, die aufgrund ihrer ästhetischen und materiellen Qualitäten zeitlos sind. Außerdem sollen sie ihn ein Leben lang begleiten.


Deshalb hat er seit seiner frühen Jugend ein Faible für japanisches Design. Die Formensprache seines neuen Füllers ist ganz im Sinne dieser Tradition auf das Wesentliche reduziert. Entfernt man ein Detail, ist es kein Füller mehr. Das erinnert ihn an Husserls Phänomenologie und Picassos berühmte Stier-Skizze (siehe Beitrag Phänomenologie).



Das Objekt der Begierde


Typisch für das Begehren: Es steigert sich, je weiter die Erfüllung entfernt ist. Das scheinen die Macher von Nakaya zu wissen. Das schrullige Kollektiv älterer Herren mit Sitz in Tokio baut in Handarbeit beständig weniger Füller als es verkaufen könnte. Eine natürliche Verknappung, die dem Mythos Nakaya keineswegs schadet. Wer einen dieser handgefertigten Stifte bestellt, muss sich in Geduld üben – was wiederum das erwähnte Begehren und die Vorfreude steigert.


Hat man die fünfmonatige Wartezeit überstanden, bekommt man vom Paketboten ein derart leichtes Paket in die Hand gedrückt, dass man glauben könnte, es wäre leer. Nur eine Schrecksekunde, denn unser Philosoph weiß natürlich, dass der Füller lediglich 22 Gramm wiegt. Wertvoller als weißer Trüffel.


In einer meditativ anmutenden Zeremonie hebt er die Verpackung aus dem schnöden Versandkarton. Die Meister aus dem Land der aufgehenden Sonne haben es wirklich drauf, denkt sich unser Philosoph. Dem edlen Stift entspricht die stilvolle Box aus federleichtem Holz. Auch schön: Die anmutig wirkenden Schriftzeichen auf dem Deckel, deren Bedeutung er nur raten kann.


Gleich wird er einen der weltweit begehrtesten Füller in seiner rechten Hand halten. Allein der exotisch klingende Name Nakaya Cigar Piccolo Toki-Tamenuri ist eine Verheißung. Auf Deutsch ausgedrückt, handelt es sich um ein zigarrenförmiges, kurzes und zweifarbiges Modell (dazu gleich mehr).


Schönheit kommt nicht nur von innen


Da liegt er nun, der Toki-Tamenuri, eingehüllt in einen maßgeschneiderten blau-goldenen Kimono. Die warme Farbe der obersten Urushi-Lackschicht des Füllers erinnert hingegen an ein dunkles Karamell-Bonbon. Wie Toffifee. An den Kanten schimmert die darunter liegende hellere Lackschicht durch. Wenn unser Philosoph den Füller gegen das Licht hält, erkennt er noch weitere tieferliegende Schichten… sehr apart.


Er hat sich vor dem Kauf eingelesen und weiß, dass jede einzelne Lackschicht aufwändig in einem staubfreien Raum ohne Zeitdruck aushärten muss. Früher wurden die Stifte dafür in Flößen aufs Meer gezogen. Dem Fortschritt sei Dank, denn mit diesem Prozedere hätte unser Philosoph noch länger warten müssen.



Der Korpus des Füller besteht aus Ebonit, einem leichten und robusten Gemisch aus Naturkautschuk und Schwefel. In Verbindung mit dem Urushi-Lack ergibt das ein unvergleichliches Gefühl in der Hand – nicht zu hart, nicht zu kühl. Im Gegensatz zu anderen Herstellern sitzt die Schraubkappe übergangslos am Korpus und macht den Stift zu einem wahren Handschmeichler. Unser Philosoph nennt es den Ich-will-anfassen-Effekt. Das kommt auch daher, dass sein Modell der Schlichtheit wegen auf den sonst üblichen Metallclip verzichtet.





Kann man mit dem Ding auch schreiben?


Kann man, und zwar sehr gut. Der Füller ist nicht nur federleicht, er ist auch klein. Ohne Kappe mißt er gerade mal 12 Zentimeter. Für kleine und mittelgroße Hände eine optimale Kombination, die langes, ermüdungsfreies Schreiben erlaubt. Wem der Piccolo zu klein ist, für den hat Nakaya längere Modelle im Programm.


Die Tinte fließt satt und gleichmäßig durch die 14 Karat-Goldfeder und leistet sich keine Schwäche. Das darf man bei einem Füller für 700 Euro – so, jetzt ist es raus – erwarten.


Unser Philosoph hat sich eine dünne Feder ausgesucht. Wobei Fein bei Nakaya einem Extrafein bei deutschen Herstellern entspricht. Er hat nämlich einen Tick: Er schreibt so klein es geht. Das hat er mal bei dem Regisseur Werner Herzog gesehen. Der hat das ganze Drehbuch für den Film „Fitzcarraldo“ in ein A6-Notizbuch gepresst. Das hat den Schwarzen Peter enorm beeindruckt.




Der Genuss ist so groß, dass er manchmal vor sich hinschreibt, ohne auf den Sinn des Geschriebenen zu achten. Er schreibt dann, frei nach Aristoteles, um des Schreibens willen. Er führt diese Tätigkeit um ihrer selbst willen aus. Was kann man sich mehr wünschen; vor allem in diesen Zeiten?


Warum schreibt der Schwarze Peter eine Produktrezension? Immerhin ist es nicht seine Kernkompetenz. Weil er uns an seiner Freude teilhaben lassen und ermuntern möchte, zum Füller zu greifen und mit der Hand zu schreiben.


Stephan Maaß von der Zeitung Die Welt hat es schön formuliert. Dass er es auf eine andere Marke bezogen hat, ändert für unseren Philosophen nichts an der Allgemeingültigkeit dieser Aussage:


„Dieser […] Füller macht glücklicher als jedes iPhone.“

Womit wir wieder mal bei der eudaimonia, der Glückseligkeit sind und einen Bogen zur Philosophie geschlagen haben.


Dieses sinnliche und beglückende Erlebnis kann man mit wenig Abstrichen auch günstiger haben. Zum Beispiel mit einem Kaweco-Füller für 20 Euro aus heimischer Produktion.





Literatur

Maaß, Stephan: Dieser 900-Euro Füller macht glücklicher als jedes iPhone, in: https://www.welt.de/wirtschaft/article174440358/Montblanc-Dieser-900-Euro-Fueller-macht-gluecklicher-als-jedes-iPhone.html (abgerufen am 26.11.2021).



Hinweis

Für diesen Beitrag haben wir weder vom Hersteller noch vom Händler Zuwendungen erhalten. Der Schwarze Peter hat den Füller bei dem sehr empfehlenswerten Vertragshändler Iguana Sell/Madrid regulär erworben.

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