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Top-Experten -- Ein Pamphlet

Aktualisiert: 10. Mai 2023

Unser Philosoph wundert sich, warum er als solide ausgebildeter „Freund der Weisheit“ noch nie von einer Zeitung oder einem Fernsehsender nach seiner Meinung gefragt wurde. Dabei wächst mit jeder Krise der Bedarf an „Top-Experten“.

Warum ruft niemand an?
Warum ruft niemand an?

So durften sich während der Pandemie vor allem Virologen im medialen Scheinwerferlicht sonnen. Nun fristen sie wieder ein Schattendasein im angestammten Habitat… dem Labor. Dafür haben Militär-Experten (meist pensionierte Generäle) Hochkonjunktur.


Diese „Top-Experten“, deren Namen vorher kaum jemand kannte, bieten mehr oder weniger erhellende Analysen. Was sie nicht bieten: Hilfe, wenn es um mentale Strategien der Lebensbewältigung in Krisensituationen geht. Dabei sehnen sich die Menschen nach Beständigkeit, Halt und sinnstiftender Orientierung. Das ist der Punkt, an dem die Philosophie ins Spiel kommt und – en passant – ihre Relevanz unter Beweis stellen kann… oder könnte.


Deshalb wartet der Schwarze Peter seit Jahren auf einen Anruf von – wie heißt er gleich? – Markus Lanz. Immerhin, so seine Überzeugung, hat er sein philosophisches Wissen hart an einer gestrengen Jesuiten-Hochschule erworben.


Nun ist es raus: Der Schwarze Peter hält sich gänzlich unbescheiden für einen (Top-) Experten. Aber: Wie in der Philosophie üblich, führt jede Erkenntnis sogleich zu deren Infragestellung. Er kommt ins Grübeln und rätselt, was – oder wen – er sich unter einem Top-Experten vorstellen kann. Vielleicht den treuherzig dreinblickenden Berliner Virologen, der zwei Jahre lang als Deutschlands erfolgreichster Corona-Erklär-Bär durch die Medienlandschaft tourte?


Leider hat es jener Virologe, wenn es nach unserem Philosophen geht, vergeigt. Weil er mit seinen Prognosen häufig falsch lag? Das sei ihm unter dem enormen Handlungsdruck verziehen. Aber er hat seine Rolle und seinen Auftrag als Sachverständiger überdehnt. Wissenschaftlicher Berater zu sein, genügte ihm nicht. Im Laufe der Pandemie wandelte er sich vom Wissenschaftler zum politischen Akteur mit eigener Agenda. Er schreckte nicht davor zurück, abweichende Meinungen anderer Experten zu diskreditieren. Das ist unredlich – zudem ist es ein Zeichen von Eitelkeit und Hybris. Wobei wir für den Schwarzen Peter aufgrund seiner Empfänglichkeit für Komplimente und mediale Aufmerksamkeit nicht die Hand ins Feuer legen würden.


Kurz gesagt: Jener Virologe hat die alte Weisheit „Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ ignoriert… und damit der Sache und seiner Reputation einen Bärendienst erwiesen.



Das wäre Popper nicht passiert


Basierend auf Karl Poppers wissenschaftstheoretischen Annahmen, hat der Schwarze Peter vor rund zwei Jahren einen Beitrag über den Hochmut mancher Wissenschaftler und Experten veröffentlicht. Laut Popper kann jede Erkenntnis, mag sie noch so gesichert erscheinen, von neuen Erkenntnissen überholt werden. Kurz gesagt: Jegliches Wissen ist vorläufig.


„Sichere Wahrheit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen. […] Selbst wenn es einem einst glückt; die vollkommene Wahrheit zu künden, wissen kann er es nie: Es ist alles durchwebt von Vermutung.“ (Xenophon, übersetzt von Popper)

Unseren Philosophen wird blümerant, wenn er an die zahlreichen Top-Experten-Expertisen denkt, die in Nachrichten- und Sondersendungen auf ihn einprasseln. Egal, ob Migration, Corona, Klima, Krieg oder Inflation; ständig äußern sich Experten zunehmend aggressiv und ausgrenzend. Statt demütig Poppers etablierte Theorie des Hypothetischen Falsifikationismus zu beherzigen,


„beanspruchen manche Protagonisten der Expertenszene einen Monopolanspruch auf die öffentliche Meinungsbildung in ihrem Gebiet.“ (Frank Lübberding)

Nicht nur auf deren Fachgebiet, findet unser Philosoph, während seine Gedanken erneut zu dem Berliner Virologen wandern, an dem er sich nervlich fast drei Jahren abgearbeitet hat. Immerhin fühlt er sich rückblickend durch Lübberdings Zeitgeist-Diagnose bestätigt:


„Sie [die Experten, Anm. d. Verf.] forschen nicht nur, sondern liefern die Bewertung und Interpretation gleich mit.“

Diese Entwicklung zeigt sich pointiert in dem von Aktivismus getriebenen Appell, DER Wissenschaft zu folgen. Dabei wird übersehen oder unterschlagen, dass es DIE Wissenschaft nicht gibt. Es gibt lediglich – und das ist deren Triebfeder – verschiedene wissenschaftliche Erklärungsversuche für ein und dasselbe Phänomen.




Grenzenlose Selbstsüberschätzung


Diese Experten betrachten Wissenschaft nicht als einen fortlaufenden, von Erfolgen und Misserfolgen getriebenen Lernprozess, sondern als statisches Glaubensgebäude. Politische Schlussfolgerungen und Lehren (z. B. aus der Pandemie) werden mit wissenschaftlichen Begründungen so lange verschmolzen, bis sich Wissenschaft in eine politische Ideologie verwandelt hat (Lübberding).


Hinsichtlich der Zielsetzung unterscheiden sich diese Top-Experten kaum mehr von gesinnungsgetriebenen Aktivisten. Aber:


„Die Wissenschaft soll über empirische Erkenntnis hinaus keine Zuflucht nehmen zu irgendeinem metaphysischen Prinzip.“ (Karl Popper)

…oder einen absolut gesetzten moralischen Standpunkt. Unseren Philosophen ärgern zwei Dinge: Zum einen der gesellschaftliche Schaden, den diese tatsächlichen oder durch Fremdzuschreibung geadelten Experten anrichten. So sind die durch Hetze von beiden Seiten während der Corona-Pandemie zugefügten Risse und Wunden noch nicht zur Gänze geheilt. Die Politik hat in weiten Teilen die gesellschaftliche Spaltung nicht nur hingenommen, sondern forciert. Manche Experten haben für diesen Kampf die rhetorische Munition geliefert.


Zum zweiten geht dem Schwarzen Peter die inflationäre Verwendung des Begriffs „Top-Experte“ oder „Top-Expertin“ auf die Nerven. Dafür können die derart Betitelten nichts. Schuld sind die Medien, denen es offenbar nicht genügt, die Aussagen dieser Experten für sich sprechen zu lassen. Also genau die Medien, die es bis heute versäumt haben, unseren Top-Experten in Sachen Philosophie zu Wort kommen zu lassen.






Literatur

Lübberding, Frank: Achtung, Experten!, in: Welt-Online vom 03.03.2023, https://www.welt.de/kultur/plus244009359/Corona-Klima-Ukraine-Achtung-Experten.html (abgerufen am 06.05.2023).

Popper, Karl: Das Elend des Historizismus, 7. Auflage, Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1980.

Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II. Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen, 6. Auflage, UTB Verlag Francke, München 1980.





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